Kälteeinbruch (German Edition)
Plattenspieler ein. Hob den Stift an und setzte ihn vorsichtig auf die Platte. Es knisterte. Dann war die Melodie zu hören, gefolgt von der rauen, gleichwohl angenehmen Stimme des französischen Sängers Charles Trenet.
«Hör mal, Torp. Ist das nicht schön? Davon krieg ich immer gute Laune.»
«Ich bitte dich», sagte Torp, der sich auf dem Sofa niedergelassen hatte. «Solche Musik hört meine Oma.»
«Deine Oma ist mir sympathisch. Trenet hat diesen Song … Hm, kann man dazu überhaupt Song sagen?»
«Was soll man denn sonst sagen?»
«
Song
klingt zu modern. Aber
Lied
passt wohl auch nicht.» Anton runzelte die Stirn und sah zur Decke. «Ein Chanson, das ist der richtige Ausdruck. Trenet soll dieses Chanson in zehn Minuten geschrieben haben. Auf einer Zugfahrt entlang der französischen Mittelmeerküste im Jahr 1943 .» Er ging zur Verandatür. «Er hat es aber erst drei Jahre später eingespielt.»
«Soso», bemerkte Torp uninteressiert vom Sofa aus.
«Doch doch. Niemand hat so richtig daran geglaubt. Nicht mal er selbst. Und dann ist es ein Hit geworden. Ein
Hit
, Torp. Das ist was anderes als das Gedudel, das du so hörst.» Anton öffnete die Verandatür.
«Hit?», Torp lachte höhnisch. «In den Vierzigern vielleicht.» Er hob eine Ausgabe der
Illustrierten Wissenschaft
vom Boden auf. Warf einen Blick auf das Titelblatt und ließ die Zeitschrift wieder fallen.
«Charles Trenet hat in zehn Minuten mehr geleistet, als du in deinem ganzen Leben zustande bringen wirst.»
Torp blickte auf. «Aber
du
leistest natürlich Großes, was?»
«Die ganze Zeit.» Anton zog den Reißverschluss bis zum Hals. Steckte sich noch ein Fisherman’s Friend in den Mund. «Im Übrigen bin nicht ich derjenige, der in der Zentrale in Sarpsborg festsitzt.»
«Jetzt ist aber mal gut.» Die Stimme kam aus der Küche.
Anton grinste. Ging auf die Veranda. Lehnte sich ans Geländer und ließ seinen Blick vom Garten über das Wäldchen zu dem abgesperrten Parkplatz hinter den Bäumen wandern, bis
La Mer
verklungen war. Als er wieder hineinging, waren Torp und Kval im Keller verschwunden. Er machte den Plattenspieler aus und schloss die Türen der Schrankwand. Die Kellertür stand halb offen. Anton stutzte angesichts des Schlosses. Es war kein schlichtes Schloss, wie man es normalerweise an Innentüren fand, sondern ein massives Schloss, das sich bestens für eine Haustür geeignet hätte. Er ging nach unten.
Der Keller war frisch renoviert und mit neuen Möbeln ausgestattet. Ein Schreibtisch aus dunklem Holz stand in der Ecke bei der Treppe. Vor dem Schreibtisch befand sich noch immer Viggo Holms blauer Bürostuhl. Entlang den Umrissen seines Gesäßes war das Blut in die Sitzfläche eingezogen. Das rote Blut war geronnen und hatte sich braun gefärbt. Auch auf dem Boden war geronnenes Blut, ein schmaler Streifen unter dem Schreibtisch. Vor der Sockelleiste hatte sich eine größere Lache gebildet. Auf dem Schreibtisch herrschte Chaos. Berge von Blättern. Anton überflog sie rasch. Diverse Stapel mit Klassenarbeiten. Einige waren korrigiert, andere nicht. Ein norwegisches Wörterbuch lag beim Buchstaben O aufgeschlagen auf dem Tisch.
Die Spurensicherung hatte sowohl Viggo Holms Laptop als auch den PC mitgenommen, beide wurden zur Stunde von Computerexperten der auf Datenwiederherstellung spezialisierten Firma Ibas in Kongsvinger untersucht. Einen Drucker, zwei dunkle Bildschirme, eine Tastatur und ein paar lose Kabel, die über die Tischkante baumelten, hatten sie dagelassen. Auf der anderen Seite des Raums, gegenüber dem schwarzen Ledersofa, hing ein Flachbildschirm an der Wand. Dazwischen stand ein viereckiger Eichentisch. An der Wand neben der Treppe befand sich ein Regal mit Büchern und DVD s. Kval inspizierte die Bücher. Blätterte sie auf der Suche nach etwas Interessantem einzeln durch. Dann waren die DVD -Cover an der Reihe. Torp war in die Hocke gegangen und schaute in die Schreibtischschubladen. Anton half Kval beim Durchsehen der Bücher und DVD s.
«Wonach suchen wir eigentlich?», fragte Torp und schob die letzte Schublade zu. Er stand auf und blieb mitten im Raum stehen.
«Nach allem», antwortete Kval und stellte ein weiteres Cover zurück an seinen Platz.
Anton setzte den Fuß auf das unterste Regalbrett und zog sich hoch, sodass der andere Fuß frei in der Luft hing. Strich mit der Hand oben über das Regal. Eine dicke Staubschicht und Wollmäuse hefteten sich an seine Finger.
«Ist ja schlimmer als
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