Kälteeinbruch (German Edition)
und Zeigefinger teilte er die Karten, legte die beiden Stapel aneinander, sodass sich die Karten überlappten, dann krümmte er vorsichtig die Hand. Das flatternde Geräusch, als die Plastikkarten wieder zu einem Stapel verschmolzen, erfüllte das Wageninnere. Sichtlich beeindruckt sah Andy mit offenem Mund zu. Anton wiederholte den Mischvorgang viermal, dann – das Lenkrad hatte er mit der linken Hand immer noch fest im Griff – breitete er die Karten mit den Fingern zu einem perfekten Fächer aus.
«Wähl eine Karte», sagte er, ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
Andy sah zweimal zwischen Anton und den Karten hin und her, als könnte er kaum glauben, dass man so etwas machen konnte, und dass es noch dazu so einfach aussah. Er zog eine Karte und sah sie an.
«Zeig sie mir nicht», sagte Anton, bog in die Hydro-Texaco-Tankstelle in der Korsgata und hielt an. «Hast du dir die Karte gemerkt?»
Andy nickte.
«Steck sie zurück in den Stapel.»
Anton mischte erneut. Dann nahm er den Stapel in die linke Hand und begann mit der rechten Karten vom Stapel abzuheben. Nachdem er sie einen Moment betrachtet hatte – er machte sich nicht die Mühe, sie Andy zu zeigen – schnipste er sie ihm einzeln vor die Füße. Nach der Hälfte der Karten tippte er auf die oberste und fragte: «Bereit?» Er drehte die Karte um: Herz Neun. «Richtig?»
Andy lachte schallend. «Nein!»
Er lachte noch mehr. Bemühte sich, so höhnisch wie möglich zu klingen. «Vielleicht sollten Sie es bei dem Trick belassen, den Ihr zwölfjähriger Sohn kann?»
«Vielleicht solltest du mal einen Blick zwischen deine Füße werfen.»
Andy beugte sich vor. Um seine Schuhe lagen sämtliche Karten, die Anton vom Stapel genommen hatte, mit der Bildseite nach oben – nur eine nicht. Der Schüler nahm sie auf. Ohne sie umzudrehen, sagte er: «Ich hatte den Kreuz König gezogen.»
«Ich weiß», antwortete Anton.
Andy drehte die Karte um: Kreuz König. «Shit … Wow. Shit! Wie haben Sie das gemacht?» Seine Stimme klang aufgeregt.
«Ich bring es dir bei, aber dann erzählst du mir, warum du das gesagt hast, und nennst mir den Namen.»
«Na gut. Er ist sowieso ein übler Geizkragen. Zeigen Sie mir den Trick.»
«Erst der Name. Okay?» Anton sah Torp im Rückspiegel an. «Springst du schnell rein und kaufst ihm eine Cola?»
Torp antwortete mit einem Grunzen. Stieg aus. Andy drehte sich um sagte: «Und Schokolade!»
Erneutes Grunzen.
«Und zwanzig Prince mild!», fuhr Andy fort.
«Nein!», schnauzte Torp. «Jetzt reicht’s.» Er knallte die Tür zu und verschwand in der Tankstelle.
«Sie sind verdammt gut.» Der Junge sah Anton bewundernd an. «Das ist echt das Krasseste, was ich je gesehen hab.»
«Wer ist dein Onkel?»
«Der Bruder von meinem Vater», antwortete er ausweichend. «Oder vielleicht von meiner Mama?»
Anton seufzte. «Soll ich dir den Trick zeigen oder nicht?»
«Na schön …», erwiderte er und blickte auf seine Schuhe.
Ihm war deutlich anzusehen, dass er nichts sagen wollte, und Anton verstand das nur zu gut. Er war offensichtlich einer der Anführer an der Schule, und mit der Polizei zu sprechen, war nicht gern gesehen.
«Er ist der Bruder von meinem Vater. Wobei, eigentlich ist er nicht der richtige Bruder, nur so halb. Er heißt Nils Jahr. Is verdammt reich. Wohnt in Oslo.» Er hob die Nase und fügte stolz hinzu: «In Aker Brygge.»
Anton machte sich Notizen. «Nur so halb sein Bruder? Was heißt das? Halbbruder? Stiefbruder? Pflegebruder? Und sonst? Was arbeitet er, wenn er so viel Geld hat?»
«Nein, nicht der Stiefbruder. Als er klein war, hatte er’s ganz schön schwer. Seine Mutter starb, als er neun war oder so, und mit zwölf oder dreizehn kam er in Papas Familie. Irgend so ’ne Pflegegeschichte, denk ich. Ich glaub, er macht was mit Aktien. Jedenfalls sagt mein Vater, dass er viel Papiergeld hat, oder dass er irgendwie mit so was handelt.»
«Wieso konnte er Viggo Holm nicht leiden?»
Der Junge zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung.»
Anton konnte sehen, dass er jetzt die Wahrheit sagte.
«Ich hab vielleicht ein bisschen übertrieben», fuhr Andy fort, «dass er eine Party schmeißt und so. Ich weiß nur, dass ich meinem Onkel letztes Weihnachten ein Mädchen in unserer Schulzeitung gezeigt habe, die mir ganz gut gefallen hat. Er hat sie sich angeguckt und dann weitergeblättert. Ganz hinten sind ja immer die Fotos von den Lehrern. Da hat er auf den Holm gezeigt und gefragt, ob ich den hab.
Weitere Kostenlose Bücher