Kälteeinbruch (German Edition)
weil ich es ehrlich gesagt nicht weiß – ein ungewöhnlich fähiger Lehrer. Aber einige unserer Schüler mochten ihn einfach nicht. Wie das eben so ist. Meist reichen schon Kleinigkeiten, dass ein Lehrer den Hass seiner Schüler auf sich zieht. Manchmal genügt es schon, wenn man wegen einer Lappalie etwas laut wird. Und Viggo Holm, der war einer von der alten Schule. Er hat ganz klar gesagt, wenn er etwas nicht in Ordnung fand.»
«Nicht in Ordnung?», fragte Anton, dessen Blick wieder auf den Schulhof hinausgewandert war. Die Lehrerin hisste die Flagge auf Halbmast.
«Ja, schlechtes Benehmen, Schimpfwörter … alles, was an einer Schule nichts zu suchen hat.» Lippen und Augen wurden gleichzeitig schmal. Als überlegte sie, ob sie offen sagen konnte, was sie dachte. Nach einigen Sekunden, in denen Anton sie erwartungsvoll anblickte, sagte sie: «Und dann kursierten da ein paar Gerüchte.»
«Was für Gerüchte?», fragte Torp schnell.
«Dass er die Schüler beim Duschen beobachtet haben soll. Aber meine Güte, welchem Lehrer ist das nicht schon vorgeworfen worden? Haltlose Gerüchte sind das.»
«Ist das oft vorgekommen? Dass man ihn solcher Dinge bezichtigt hat?»
«Es ist uns nie angezeigt worden, nur um das klarzustellen. Die Schüler machen sich nur untereinander darüber lustig.»
«Gab es irgendwelche Vorfälle zwischen Holm und einem der Schüler, die von den alltäglichen Konflikten abwichen?»
«Meines Wissens nicht.»
«Und mit den Vorgesetzten?»
Sie schüttelte den Kopf. «Nein, und es würde mich wundern, wenn da etwas gewesen wäre, ohne dass ich es mitbekommen hätte.»
«Aber wie Sie schon sagten, sind Sie ja erst seit einem Jahr hier.»
«Ja schon, aber die Schule ist groß. Überall gibt es Augen und Ohren. Bei so viel Klatsch und Tratsch lässt sich kaum etwas geheim halten. Zumindest keine Konflikte, die in diese Richtung deuten.»
Anton nickte. «Welche Fächer hat er unterrichtet, und welche Klassenstufen hatte er zuletzt?»
«Dieses Jahr hat er in erster Linie Norwegisch, Mathematik und Englisch unterrichtet, in der achten Klasse. Er war der Klassenlehrer der 8 c. Außerdem war er für Sonderpädagogik zuständig, und bei Bedarf ist er als Sportlehrer eingesprungen.»
«Mir ist das Wort Sonderpädagogik ein Begriff, aber was genau versteht man hier in Kruseløkka darunter?»
«Nun, wir haben einige Schüler mit besonderen Bedürfnissen.»
«Und damit meinen Sie Schüler mit einer Behinderung oder eher so Draufgänger wie den da draußen?»
Sie schmunzelte.
«Der Draufgänger da draußen ist in der Tat einfach nur ein Rowdy. Hat jede Menge Flausen im Kopf. Ansonsten ein cleverer Bursche. Wenig ehrgeizig vielleicht. Schwänzt permanent und macht nur Unsinn, aber wenn er will, dann kann er auch.»
«Mmh.»
«Ich dachte eher an die am anderen Ende der Skala. Die es nicht schaffen, obwohl sie wollen. Die sich schwertun. Das kann alle möglichen Ursachen haben. Manche haben eine Behinderung, die ihnen das Leben schwermacht, andere haben Probleme im Elternhaus, die sich auf ihre Konzentrationsfähigkeit in der Schule auswirken. Viggo war hier eine große Hilfe. Ein paarmal hat er sogar welche von den Jungs auf eine Waldwanderung mitgenommen, wo sie dann im Zelt übernachtet und am Lagerfeuer gegrillt haben und all so was. Ich weiß, dass das sehr gewürdigt wurde.»
«Ich würde gern mit ein paar von seinen Schülern sprechen.»
Die Rektorin schien ihm diesen Wunsch liebend gern erfüllen zu wollen, erklärte jedoch, dass das nicht so einfach sei: Sie bräuchten die Einwilligung der Eltern.
Anton stand auf, bedankte sich für das Gespräch und schüttelte ihr die Hand.
Sie ging zur Tür und machte sie auf. Der Schüler saß inzwischen auf einem Stuhl direkt an der Wand zu ihrem Büro. Torp ließ ihn links liegen und ging rasch durch den Raum.
«Eine Sache noch», sagte die Rektorin, als Anton an dem Schüler vorbeiging, «bei der Besprechung mit den Fachleitern und der restlichen Schulleitung vorhin haben wir beschlossen, ein ärztliches Krisenteam einzuschalten, damit die Schüler und auch die Beschäftigten so gut wie möglich betreut werden. Wir dachten, wir könnten die Turnhalle für den Rest des Tages offen lassen, damit alle, die wollen, dorthin kommen können. Ist es in Ordnung, wenn wir das so machen?»
«Ja», antwortete Anton schnell. «Das ist völlig in Ordnung. Wie Sie mit dem Fall umgehen, ist ganz Ihre Sache.» Er lächelte ihr aufmunternd zu.
«Gut.
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