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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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Von oben wollte Darius wissen, was sich dort unten befand. Bernandas bat ihn um Geduld, während er in die Dunkelheit spähte.
    Als Erstes fiel ihm die Temperatur auf. Er öffnete den Reißverschluss seiner Jacke. Zwischen Leiter und Wand hingen Spinnweben. Er leuchtete mit seinem Handy über die Wände und die Decke. Direkt über seinem Kopf hing eine Schnur, die an einer Glühbirne endete. Bernandas zog daran. Gelbes Licht erfüllte den Raum. Er stand in einem etwa drei Meter breiten und ungefähr doppelt so langen Gang. Am Ende des Ganges führte eine Steintreppe hoch zu einer Klappe, durch die man vermutlich von außen in den Keller gelangte. An der Wand standen drei schmale Holzregale. Sie waren so einfach gebaut, dass Bernandas annahm, Viggo Holm habe sie und die Leiter selbst gezimmert. Zwei waren mit Kartons und Dosen, die aussahen wie kleine Farbeimer, gefüllt, während das dritte, das ein wenig abseits stand, Pappschachteln verschiedener Größe enthielt. Er ging zu den Eimerchen. Es waren Konservenbüchsen. Er griff nach einer beliebigen und las das Etikett.
Spaghetti à la Capri.
Darunter waren Spaghetti mit Würstchen, Fleischbällchen und Tomatensoße abgebildet. Davon gab es etliche. Er sah sich die anderen Dosen an.
Sodd
, bei dem es sich dem Bild zufolge um eine Art Gulasch handeln musste, und eine weitere Sorte, deren Namen er nicht aussprechen konnte, die jedoch Würstchen und Fett zu enthalten schien. Er nahm drei Dosen
à la Capri
und kletterte die Leiter hinauf. Ging in die Küche und stellte die Konserven direkt auf die Kochplatten. Die rot-weiße Pampe erinnerte an Hundefutter, sie roch aber gar nicht so schlecht.
    Fünfundzwanzig Minuten später hingen alle drei erschöpft und satt auf Sofa und Sessel. Leonas war eingeschlafen, während Darius dalag und Bernandas beobachtete.
    Bernandas sah in das bleiche Gesicht, das vom flackernden Schein der Teelichter erhellt wurde. «Du weißt, was hier eigentlich Sache ist, stimmt’s?»
    «Ich glaube schon», antwortete der Junge. «Und du hast nichts davon gewusst?»
    Bernandas schüttelte den Kopf. «Das hier war nicht abgemacht.»
    «Was passiert jetzt?»
    Mutlos zuckte Bernandas mit den Schultern. Er hätte so gern etwas Aufmunterndes gesagt, denn im Innern des Jungen konnte es unmöglich so ruhig aussehen, wie es von außen den Anschein hatte. «Ich weiß es nicht. Zuletzt hieß es, dass wir wieder nach Hause zurückkehren sollen.»
    «Wir auch?» Darius sah Leonas an, der zunehmend tiefer schlief. «Oder nur du?»
    «Alle drei.»
    Darius lächelte gequält, machte jedoch nicht den Eindruck, als würde er Bernandas glauben.
    «Wie alt bist du wirklich?»
    Seine Sprache und sein Verhalten ließen ihn reifer wirken als zwölf, auch wenn er nach wie vor so aussah – höchstens.
    «Fünfzehn.»
    «Fünfzehn?», stieß Bernandas aus und lehnte sich vor. «Echt?»
    «Ich bin im November fünfzehn geworden.»
    «Und er hier?» Bernandas blickte zu Leonas.
    «Der ist acht. Mir ist schon klar, dass ich hier bin, weil ich jünger aussehe. Ich weiß, wozu der rote Ball in der Küche gut ist.»
    Bernandas spürte, wie sich die Übelkeit in seinem Magen ausbreitete und ihm in den Hals stieg. Was war dieser Viggo Holm doch für ein perverses Schwein. Er hatte das, was ihm widerfahren war, mehr als verdient. Er selbst hätte diesen Widerling aufs Übelste zugerichtet. Ihm den Schwanz abgeschnitten und ihm das Ding in den Mund gesteckt.
    Bernandas stand auf und ging zur Luke, die noch immer offen stand. «Kommst du mit runter, dann schauen wir mal, ob’s noch mehr zu sehen gibt?»
    Unten begannen die beiden die Regale abzusuchen. Darius fand eine Packung Kakaopulver, die er stolz in die Luft hielt.
    «Ich kann uns einen machen», sagte er zu Bernandas. «Das ist ganz leicht. Einfach Wasser aufkochen und drübergießen. Als ich klein war, hat Mama mir immer welchen gekocht.»
    Bernandas blieb stehen und sah Darius eine Weile wortlos an. Er konnte sich gut daran erinnern, wie er selbst mit fünfzehn gewesen war. Nach außen hatte er den Coolen gespielt. Den Coolsten, um genau zu sein. Ihm kam keiner blöd. Jedenfalls nicht zweimal. Aber wäre er damals in Darius’ Lage gewesen, hätte er wahrscheinlich einfach nur geheult.
    Darius entfernte sich langsam von Bernandas. Seine Füße glitten über die Erde. Den Kopf hatte er zur Seite geneigt. Vor dem Regal mit den Pappschachteln blieb er stehen und schaute in eine hinein. Sie war leer. Die nächste. Auch leer.

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