Kälteeinbruch (German Edition)
Jedenfalls findet heute kein Unterricht mehr statt.» Sie wandte sich an den Schüler: «Und jetzt zu uns beiden, Andy. Hast du nicht langsam die Nase voll davon, dauernd mit mir reden zu müssen?»
Anton trat auf den Gang. Als die Rektorin die Tür hinter sich schloss, hörte er den Schüler aufgeregt rufen: «Shit! Der Holm ist tot? Ermordet? Krass! Da wird mein Onkel aber ’ne fette Party schmeißen.» Darauf folgte ein unschuldiges, jungenhaftes Lachen.
«Hast du das gehört?», fragte Anton. «Mit dem würde ich gern noch kurz reden, bevor wir fahren.»
«Und was ist mit seinen Eltern?»
«Was soll mit denen sein?»
Kapitel 22
Torp ließ den Motor des dunkelblauen Passats vor dem Zaun der Kruseløkka-Schule laufen. Er schaltete das Radio ein. Auf dem eingestellten Sender wurde gerade Bjørn Eidsvåg gespielt. Torp drehte am Regler, bis er den Sender mP 3 fand. Anton saß auf der Beifahrerseite und sah aus dem Fenster, er lutschte ein Fisherman’s Friend. Fünf Mädchen, dieselbe Clique, die Anton vom Büro der Rektorin aus beobachtet hatte, gingen an dem zivilen Polizeifahrzeug vorbei. Zwei von ihnen tuschelten miteinander und zeigten kichernd auf Torp. Anton stellte den Sender zurück auf P 4 und sah wieder aus dem Fenster. Die Mädchen waren inzwischen stehen geblieben und starrten den jungen Fahrer neugierig an.
«Mach nicht solche Stielaugen, Torp», sagte Anton, ohne zu wissen, ob Torp überhaupt hinsah.
«Also mal ehrlich», Torps Tonfall war jetzt ernst, «wie alt sind die? Fünfzehn? Sechzehn?»
«Genau deshalb sollst du ja nicht solche Stielaugen machen.»
«Darauf antworte ich nicht», erwiderte Torp und stellte das Radio lauter. Dort wurde
Skyfri himmel
angespielt. «Da hör ich sogar lieber Bjørn Eidsvåg zu als dir.»
Anton verfiel in Bergenser Dialekt und sang mit.
«Bjørn Eidsvåg ist gar nicht aus Bergen», bemerkte Torp genervt. «Er kommt aus Rogaland.»
«Ja, ja», sagte Anton und winkte ab. «Das kommt aufs Gleiche raus.»
«Nein», protestierte Torp, «Die zwei Dialekte kann man überhaupt nicht vergleichen.»
Anton runzelte die Stirn. «Ich wusste gar nicht, dass du dich nebenbei auch noch als Linguist verdingst, Torp. Du überraschst mich immer wieder.»
«Das ist doch nicht zu fassen …», sagte Torp und schaltete das Radio aus. «Du hast doch mal gemeint, oder wahrscheinlich hast du es sogar öfter gesagt, dass du Zweifel daran hattest, dass ich die Polizeihochschule schaffen würde.»
«Kann mich gut dran erinnern.»
«Ehrlich gesagt frage ich mich manchmal, wie
du
sie bestanden hast.»
Anton lachte. «Die Schule war easy.» Er zwinkerte verschmitzt und fügte hinzu: «Wie alles andere, das ich anpacke.»
Torp zeigte auf das Hauptgebäude. «Kommt da nicht unser Scherzkeks?»
Anton drückte auf den Knopf am Fenster und ließ die Scheibe ganz herunter. Er steckte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand in den Mund und stieß einen Pfiff aus, der sich jedoch mehr wie Mädchengekreische anhörte. Der Junge – und mehrere andere – drehten sich um. Anton rief «Andy» und winkte ihn zu sich heran. Der Junge kam mit kurzen Schritten angelaufen und hielt mit beiden Händen den Hosenbund fest, damit die Hose nicht ganz hinunterrutschte.
«Ja?», fragte er forsch, als er an Antons Seite angelangt war.
«Lust auf eine kleine Spritztour?»
«Warum?», entgegnete der Junge ungeniert. «Ist es verboten, einen minderbemittelten Bullen mit einem Kartentrick abzuzocken?» Er grinste von einem Ohr zum anderen und entblößte dabei sein ganzes Gebiss. Als könnte er sich jetzt alles herausnehmen, nur weil Anton und er vorhin zusammen gelacht hatten.
Anton lächelte kaum merklich. «Nein. Verboten ist es allerdings», er sah zu Torp, «wenn man so doof ist, dass man nicht blickt, wie der Trick funktioniert.»
Der Junge lachte laut auf. «Tja, da sagen Sie was. Als ob Sie das wüssten.» Sein Tonfall war höhnisch, und seine Haltung derart von oben herab, wie sie nur ein Fünfzehnjähriger an den Tag legen konnte.
«Mein Sohn hat den Trick schon seit drei Jahren drauf», sagte Anton.
«Na und?»
«Er ist jetzt zwölf.»
«Oh …»
«Das ist reine Mathematik. Und somit ganz einfach. Falls du damit aber Frauen rumkriegen willst, kannst du dich glücklich schätzen, wenn du dem einen oder anderen Modepüppchen damit imponierst. Das sind vermutlich so ziemlich die Einzigen, die den Trick nicht mal kapieren, wenn man ihnen erklärt, wie er funktioniert: Man muss nur bis
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