Kälteeinbruch (German Edition)
Ich hab nein gesagt, da meinte mein Onkel, dass ich froh sein könnte, weil der ein echter Widerling ist, und dass er eine Riesenflasche Schampus köpfen würde, wenn der mal unter der Erde wäre.»
Als Torp zurückkam, verriegelte Anton die Tür und ließ das Fenster halb herunter. Er nahm Torp die Cola und den Schokoriegel ab, gab Andy beides in die Hand und sah Torp an.
«Ich zeig ihm nur noch schnell den Trick.»
«Und ich darf wohl nicht zugucken?» Torp starrte ungläubig. «Echt jetzt?»
Anton sah voller Ernst in sein enttäuschtes Gesicht. «Natürlich nicht.»
Das Fenster glitt wieder nach oben.
Kapitel 23
Bernandas durchsuchte die vier Schubladen und Schränke in der Küche bereits zum dritten Mal innerhalb ebenso vieler Stunden. Der halbe Brotlaib, der in eine Plastiktüte verpackt in der obersten Schublade gelegen hatte und schon ganz trocken war, hatte am Vorabend dran glauben müssen. Er wusste, dass ein Mensch längere Zeit ohne Essen auskommen konnte, wenn nur sein Körper mit ausreichend Flüssigkeit versorgt wurde. Immerhin waren die Wasserleitungen nicht zugefroren. Er ging zurück ins Wohnzimmer. Darius und Leonas lagen unter einer Decke auf dem Sofa. Der Ölofen lief auf Hochtouren. Trotzdem war es kühl dort, wo er stand. Durch die Fenster, die nach Süden zum Skagerrak gingen, zog es kalt herein. Er stellte sich an den Tisch und sah die beiden Jungen abwechselnd an. Sie blickten zu ihm hoch. Wirkten hungrig und erschöpft. Resigniert hob er die Arme und sagte, er könne nichts zu essen finden.
Bernandas wusste nur eins, sie konnten maximal noch eine Nacht hier verbringen. Sobald die Ermittlungen richtig angelaufen waren, würde die Polizei hier auftauchen. Er verstand ohnehin nicht, warum alles so lange dauerte. Warum hatte Arturas sich nicht von unterwegs gemeldet? Wenn er nicht gerade mit einem Pferdefuhrwerk kam, konnte die Fahrt hierher doch nicht so lange dauern. Was war das für eine Scheiß-Organisation? Amateure, dachte er. Mit dem nötigen Geld und dem entsprechenden Netzwerk hätte er selbst etwas Solideres auf die Beine gestellt.
Pragaras.
Bernandas stellte sich auf den Teppich vor dem Fenster. Dort blieb er eine Weile stehen und starrte auf die Klippe. Mit drei Fingern fuhr er über die Fensterscheibe. Seine Fingerspitzen wurden schwarz. Er wischte sie an der Jeans ab und stützte sich auf das Fensterbrett. Ein eiskalter Luftzug traf seine Hände. Bernandas zog sie wieder zurück und steckte sie in die Hosentaschen. Dachte an den Toten oben in Sarpsborg. Das viele Blut. Er hatte noch nie so viel Blut auf einem Fleck gesehen, und alles stammte von nur einer Person. Bei dem Gedanken schauderte es ihn. Er trat einen Schritt zurück. Der Fußboden knackte. Mitsamt dem Teppich sackte Bernandas’ Fuß einen Zentimeter nach unten, als hätten die Planken unter seinem Gewicht nachgegeben. Er hob das Bein hoch und setzte es wieder auf. Erneutes Knacken. Er packte ein Ende des Teppichs und zog ihn langsam beiseite. Dort, wo der Fußboden eben nachgegeben hatte, war ein Viereck herausgesägt worden. Eine Luke. Als hätte Bernandas’ Entdeckung ihnen neue Energie verliehen, sprangen Darius und Leonas vom Sofa auf. Zu beiden Seiten der Abdeckung waren runde Metallgriffe angebracht. Bernandas steckte zwei Finger in die Griffe und zog. Die Abdeckung löste sich aus dem Boden. Eine dünne Staubschicht wirbelte auf. Leonas nieste und musste kichern. Bernandas hielt einen Moment inne und sah ihn in der Dunkelheit an. Es war das erste Mal, dass er ihn lachen hörte. Auch wenn es nur kurz war, war es ein gutes Zeichen. Er setzte die Abdeckung auf dem Holzboden ab und schob sie ein paar Zentimeter von sich weg. Leonas wollte sie anheben, schaffte es jedoch nicht, daraufhin forderte er Darius auf, sein Glück zu versuchen. Den Älteren interessierte jedoch viel mehr, was sich dort unten in der Dunkelheit befand.
Bernandas starrte in das schwarze Loch. Er konnte nichts erkennen. Er holte sein Handy vom Wohnzimmertisch und benutzte es als Taschenlampe. Das schwache Licht des Displays reichte nicht bis zum Boden, in dem bläulichen Schimmer kam jedoch eine Leiter zum Vorschein. Er klemmte sich das Handy zwischen die Zähne und tastete mit den Füßen nach den Sprossen. Die Leiter wirkte stabiler als alles andere, was er hier im Haus gesehen hatte. Sieben Schritte weiter unten berührte er den Boden. Es roch modrig. Genau so hatte es im Kriechkeller seines Onkels gerochen, als er noch klein war.
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