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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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Sie sah zuerst zu Boden, dann zu Anton, zur Decke, zurück zu Anton, zur Wand und wieder zu Anton. Dort blieb ihr Blick hängen. Sie trug einen Rollkragenpullover aus grauer Wolle und darüber einen beigefarbenen Mantel. Sie setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Stellte ihre kleine schwarze Handtasche neben sich auf den Fußboden. Legte die Hände auf die Armlehnen. Dort blieben sie nicht lange. Knapp eine Sekunde später hatte sie die Hände ineinandergelegt und massierte mit den Fingern der einen Hand den Rücken der anderen.
    Marion Finess konnte nicht die Mutter seiner Jugendliebe sein und die Tochter schon gar nicht. Was seiner Vorstellung nach behördengrau sein sollte, war in Wahrheit braun und gelockt und reichte ihr bis zur Schulter. Die Lippen waren schmal. Die Augen blaugrün. Der Körper, von dem er erwartet hatte, dass er deutliche Spuren eines Lebens in der Krankenpflege tragen würde im Umgang mit Menschen, die man ständig hochheben musste, sah gut trainiert aus. Nicht im Sinne von muskulös, sondern eher wie das Ergebnis einer viermal in der Woche eingehaltenen einstündigen Trainingseinheit auf dem Laufband. Sie war höchstens 1 , 65  Meter groß. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet. Im rechten Auge war ein Äderchen geplatzt. Zwei lila Flecken, die sie notdürftig mit Make-up abgedeckt hatte, prangten links über dem Pullover an ihrem Hals. Auf der anderen Seite befand sich ein weiterer blassblauer Fleck. Als sei sie kürzlich gewürgt worden.
    Ihre wässrigen, blaugrünen Augen sprachen Bände. Nach einem halben Leben bei der Polizei und mindestens ebenso viel Zeit an diversen Pokertischen kannte Anton den Unterschied zwischen unzufriedenen, halbzufriedenen und zufriedenen Augen. Er brauchte Marion Finess nicht lange anzusehen, um zu wissen, dass es ihr nicht gutging, aber mit Viggo Holms Tod hatte das nichts zu tun. Sie war schon lange davor unglücklich gewesen. Über ihrem Blick lag ein Schleier, vermutlich war sie sich dessen selbst nicht bewusst. Für ihn jedoch war er nicht zu übersehen. Genauso wenig wie seine Ursache.
    Plötzlich flog die Tür auf. Marion Finess zuckte auf ihrem Stuhl zusammen und schnappte nach Luft.
    «Anton!», rief Magnus Torp. «Bei der …»
    Dann entdeckte er die Frau.
    «Ups, sorry. Entschuldigung. Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass Sie», er nickte ihr zu, «schon da sind.»
    «Was gibt’s, Torp?», fragte Anton schicksalsergeben.
    «Bei der Schutzpolizei in Fredrikstad ist die Stelle eines Polizeimeisters zu besetzen», stieß er voller Aufregung aus.
    «Na und? Ich hab einen Job, außerdem liegt das ein paar Kilometer unterhalb meiner Besoldungsstufe.»
    «Ich habe eher an mich gedacht.» Torp war inzwischen drei Schritte ins Büro gekommen. «Ich wollte gern fragen, ob du mir vielleicht eine Empfehlung schreibst. Die Bewerbungsfrist endet morgen.»
    «Kannst du nicht die vom letzten Mal nehmen? Und wieso jetzt zur Schutzpolizei in Fredrikstad, du bist doch hier bei dem gleichen Verein? Außerdem dachte ich, du willst Ermittler werden.»
    «Letztes Mal hast du angerufen.» Torp war in Fahrt und redete laut und schnell. «Und wenn du mir jetzt eine schreibst, kann ich die ja in Zukunft verwenden.»
    «Verstehe. Aber warum?»
    «Weil ich wieder in die Bereitschaftszentrale muss, sobald du hier mit dem Fall Holm fertig bist. Ich fühle mich ganz nutzlos. Ich habe ja nichts gegen
Pflichtdienst
, aber hier ist das doch bloß ein anderes Wort, das die sich für den Posten in dem Loch da unten ausgedacht haben. Das …»
    «Torp?», stieß Anton zwischen geschlossenen Zähnen hervor.
    «Ja?»
    «Ich bin mitten in einer Vernehmung …»
    Jetzt war Torp derjenige, dessen Blick etwas Rastloses bekam und ziellos durch das Zimmer wanderte. Marion Finess. Die Decke. Die Wände. Anton. Der Boden. Anton. Marion Finess. Anton.
    Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort.
    «Das nenne ich Arbeitseifer», bemerkte Anton und lächelte.
    Marion Finess sagte nichts. Erwiderte nur sein Lächeln. Wie eine Mutter lächelt, die ihr Kind dabei beobachtet, wie es auf dem Boden sitzt und still vor sich hin spielt. Dabei sah sie Anton nicht an. Ihr Blick war auf ihn gerichtet, aber sie sah ihn nicht. Sie war ganz in Gedanken.
    Anton informierte sie darüber, dass es sich um eine formelle Zeugenvernehmung handelte, und leierte ihre Rechte herunter. Auf die Frage, ob sie etwas trinken wolle, lehnte sie dankend ab.
    Er drückte ein paar Tasten und rief in seiner Datenbank

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