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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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setzen, indem wir alle im Zimmer hocken.»

Kapitel 25
    Anton saß in Kvals Büro mit dem Rücken zur Tür und beobachtete die Schneeflocken vor dem Fenster, während er aus einer Pralinenschachtel naschte, die er aus dem Pausenraum mitgenommen hatte. Unten auf der Straße schlichen die Autos mit knapp zwanzig Stundenkilometern über die glatte Fahrbahn. Als er am Vorabend zu Bett gegangen war, hatte das Thermometer minus fünfzehn Grad erreicht, und allem Anschein nach würde es noch eine ganze Weile weiterschneien.
    Wie er den Winter hasste!
    Was für eine Stadt. Was für ein Land. Was für ein Leben! Und dann stand auch noch Weihnachten vor der Tür, schoss es ihm durch den Kopf, als er einem älteren Ehepaar zusah, das tütenweise eingepackte Geschenke zu einem Auto schleppte. Allmählich sollte er auch ein Weihnachtsgeschenk besorgen. Besser gesagt drei. Für seine Eltern und Alexander. Vier. Seinen kleinen Bruder durfte er nicht vergessen. Fünf – Kval sollte an Heiligabend auch etwas bekommen, als Dank für die Einladung. Elisabeth würde dieses Jahr leer ausgehen. No chance. Sie hatte ihm seine letzte Krone aus der Tasche gezogen – und da war der Unterhalt für Alexander noch nicht berücksichtigt, den sie überhaupt nicht brauchte. Jedenfalls nicht mehr.
    Dieses Jahr würde er Weihnachten also bei Kval und seiner Frau feiern oder dort zumindest einen Happen essen. Sonst hatte er Heiligabend immer mit Alexander und Elisabeth bei ihren Eltern verbracht, sogar nachdem sie sich getrennt hatten. Aber ihm war klar, dass die Dinge jetzt komplizierter standen. Dieses Investorenschwein würde seine neue Familie bestimmt auf irgendeine Scheiß-Kreuzfahrt in die Scheiß-Karibik mitnehmen.
    Er drehte sich um zum Schreibtisch und nahm den Telefonhörer ab. Er hatte Elisabeths Nummer schon zur Hälfte gewählt, da überlegte er es sich anders und legte wieder auf. Was sollte er auch sagen? Fröhliche Weihnachten?
    Er versuchte, an etwas anderes zu denken. An den Mitsubishi, dessen Reifen auf der Straße wieder Halt gefunden hatten, kurz bevor er in den Honda vor ihm gekracht wäre.
    An die Tausender, die sich in dem Kulturbeutel ganz zuunterst in seiner Tasche im Hotelzimmer befanden. Nun hatte er das Startgeld für das Main Event in Las Vegas, der wahren Weltmeisterschaft im Poker, fast beisammen. Noch dreißigtausend Kronen und er brauchte sich nur noch ein Flugticket zu besorgen.
    An Ole Kval, dessen wahres Ich heute wieder durchgekommen war. Sein Eifer und die Tendenz zum Schmollen, wenn es nicht so lief, wie er es sich vorstellte. Es war schön, ihn so aufleben zu sehen, und Anton war überzeugt davon, dass das erst der Anfang war. Sobald sie ein paar mehr Anhaltspunkte hätten, würde Kval nicht eher lockerlassen, bis Viggo Holms Mörder gefasst war. Aus genau diesem einzigen Grund konnte er selbst es sich erlauben – zumindest in Gedanken –, etwas abwesend zu sein. Es verging keine Stunde, ohne dass er an Elisabeth und Alex denken musste. Wenn er es zum Main Event schaffte und sich dort eins der höheren Preisgelder sicherte, würde sich alles wieder einrenken. Dann würde sie zu ihm zurückkommen. Dessen war er sich sicher.
    Oder nicht?
    Scheiße.
    Er dachte an Marion Finess, die persönliche Assistentin von Viggo Holms verstorbener Frau, die nicht auf der Gehaltsliste der Kommune Sarpsborg stand. Jedenfalls nicht für alle Stunden, die sie bei den Holms verbracht hatte. Sie müsste eigentlich schon da sein. Er sah auf die Uhr in der unteren Bildschirmecke. 18 :30  Uhr. Er nahm sich noch eine Praline aus der Schachtel, die er aus dem Pausenraum hatte mitgehen lassen. Legte sie auf die Zunge und zerdrückte sie genüsslich. Finess. Der Nachname kam ihm bekannt vor. Ein alter Flirt aus Jugendtagen. Vielleicht war sie die Mutter? So wie er sein Glück – oder Pech – einschätzte, war sie es. Vor seinem inneren Auge sah er eine stabile Frau, Mitte sechzig, mit kurzen, behördengrauen Haaren, deren verbrauchter Körper von der jahrelangen Arbeit mit anderen Menschen zeugte.
    Er drehte sich viermal auf seinem Stuhl im Kreis und legte den Kopf in den Nacken. Dann klopfte es zweimal kurz an der Tür. Ein Polizist von Mitte zwanzig streckte zaghaft den Kopf herein. «Anton Brekke?»
    «Schon möglich …»
    «Marion Finess ist da.»
    Anton signalisierte ihm mit einem Kopfnicken, dass er sie hereinschicken sollte.
    Der Polizist machte die Tür ganz auf und verschwand. Marion Finess’ Blick hatte etwas Rastloses.

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