Kälteeinbruch (German Edition)
würde sie vermutlich am liebsten aufspringen und zum Auto laufen, dort den Kopf aufs Lenkrad schlagen und sich fragen, wie sie nur so verdammt kurzsichtig hatte sein können.
Jemand mit einer kriminellen Ader hätte mühelos eine plausible Erklärung parat gehabt.
«Frau Finess», sagte Anton ruhig und rollte den Bürostuhl langsam mit den Füßen vor und zurück. «Ich bin weder von der Wirtschaftspolizei noch vom Finanzamt. Mir ist es völlig schnuppe, wenn Sie sich ein paar Kronen dazuverdienen. An manchen Tagen wünschte ich selbst, ich könnte tischlern oder mauern und mir damit ein hübsches Sümmchen verdienen. Kann ich aber nicht. Ich bin schlicht und ergreifend ein lausiger Handwerker.»
Sie lächelte und lachte erleichtert auf.
«Das hier bleibt unter uns, okay?», fuhr er fort. «Ich werde nichts davon aufschreiben. Ich muss es aber wissen. Ich bin ausschließlich daran interessiert, Viggo Holms Mörder zu finden, und damit mir das gelingt, bin ich gezwungen, so viel wie möglich – am besten alles – über ihn, seine Gewohnheiten und sein Leben in Erfahrung zu bringen.» Anton machte eine kurze Pause, dann fragte er: «Was hat er Ihnen bezahlt?»
«Zweihundert Kronen die Stunde.»
«Netto gar nicht mal so schlecht. Aber ich nehme an, dass Ihre Bemühungen insgesamt einiges mehr wert waren.»
«Ja, da kamen schnell ein paar Stunden zusammen. Das macht sich in der Haushaltskasse bemerkbar. Ich lebe allein mit meinem Sohn.»
«Das verstehe ich. Also, ich meine, dass sich das in der Haushaltskasse bemerkbar macht – nicht, dass Sie allein sind.» Er lächelte verschmitzt. «Wie oft haben Sie dort gearbeitet?»
«Das war sehr unterschiedlich. Als seine Frau noch lebte, war ich eigentlich jeden Tag dort, aber im vergangenen Jahr habe ich, wie gesagt, nur den Haushalt erledigt. Vielleicht einmal die Woche? Höchstens zwei. Aber am schönsten war es, wenn er ein paar Tage verreist war. Dann konnte ich meinen Sohn mitnehmen, und wir haben bei ihm im Haus geschlafen. Dort gab es für einen kleinen Jungen mehr Platz zum Toben als in meiner Dreizimmerwohnung.»
Das Schönste daran, dachte Anton, muss gewesen sein, dass derjenige, der ihr die blauen Flecken am Hals zugefügt hat, nicht wusste, wo sie steckte.
«Mm. Eine Sache noch, Frau Finess, dann machen wir Schluss. Das Büro Schrägstrich das Fernsehzimmer. Ich habe vollstes Verständnis, wenn Sie sich nicht erinnern können oder nicht darauf geachtet haben, aber wissen Sie, ob irgendetwas aus dem Zimmer fehlt?»
«Keine Ahnung. Dort unten war ich nie. Die Tür war immer abgeschlossen. Für gewöhnlich habe ich ja das Haus geputzt, wenn wir dort übernachtet haben. Ich habe auch angeboten, dort unten zu putzen, aber das wollte er nicht. Er meinte, er könnte die wenigen Handgriffe schnell selbst erledigen. Ich war gestern zum ersten Mal dort.»
Anton nickte. Zog eine Visitenkarte aus der Geldbörse. «Rufen Sie mich an, falls noch etwas sein sollte. Vielleicht fällt Ihnen ja noch irgendetwas ein. Melden Sie sich, selbst wenn es Ihnen belanglos vorkommt.» Er schob die Karte über den Schreibtisch, stand auf und machte ein paar Schritte in Richtung Tür. Blieb stehen, drehte sich noch einmal zu Marion Finess um und fragte: «Julie Finess … sind Sie verwandt?»
Sie lächelte übers ganze Gesicht. «Wir sind Cousinen», antwortete sie und präsentierte eine
nahezu
perfekte Zahnreihe. An einem der Schneidezähne war ein kleines Eckchen abgebrochen, doch das machte ihr Lächeln nur charmanter.
«Ach was. Wie geht es ihr?»
«Sehr gut. Genießt ihr Leben in Dänemark. Hat einen Tierarzt geheiratet. Drei Kinder, das vierte unterwegs. Woher kennen Sie sie?»
Als sie die Frage stellte, schien sie für einen Moment an nichts anderes zu denken. Als erwachten ihre blaugrünen Augen plötzlich zum Leben. Anton konnte sehen, wie sie ihn musterte. Wie sie sich zu erinnern suchte, ob sie ihm schon einmal begegnet war.
War sie nicht. Die Cousine war so alt wie Anton. Also vierzehn Jahre älter als Marion. Marion war vier Jahre alt gewesen, als Anton ihrer Cousine den Hof machte.
«Diese Geschichte erspare ich Ihnen lieber.» Anton durchquerte das Zimmer. Legte die Hand auf die Klinke und drückte sie herunter, wartete jedoch kurz, bevor er sie öffnete. «Ach so, seine Katze, ha–»
«Ups», sie schlug sich die Hand auf den Mund. «Die hab ich mit nach Hause genommen. Sie kam, als ich auf Ihre Kollegen gewartet habe. Das hätte ich vielleicht besser
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