Kälteeinbruch (German Edition)
Rotbraunes Fett hatte sich am Nagelbett seiner Finger gesammelt. «Da kann man noch so oft draufquatschen, man wird nie zurückgerufen.»
«Du hast doch selbst eine Mailbox», bemerkte Torp.
Anton drehte sich um. «Eben drum. Hast du bei STRASAK nachgeschaut, Kval?»
«Nix.»
«Es ging um eine Vergewaltigung, jemand hat ihn angezeigt, aber das Verfahren wurde eingestellt. Das war vor neun Jahren. Und vor wenigen Jahren bekam er noch mal eine Anzeige wegen «fahrlässiger Vergewaltigung». Der Fall ging erstaunlicherweise bis vors Osloer Amtsgericht, aber das Gericht scheint der Aussage der Frau kaum Glauben geschenkt zu haben. Man ließ ihn laufen.»
«Tun sie das jemals», warf Kval ein, «der Aussage der Frau Glauben schenken? 2009 gingen eintausendundsechs Anzeigen wegen Vergewaltigung ein. Rate mal, wie viele davon zu einer Verurteilung geführt haben, na?»
Bevor Anton raten konnte, fuhr er fort: «Hundertdreizehn. Einhundertdreizehn, Anton, von über tausend Fällen. Das System ist doch krank.»
Anton nickte zustimmend. «Von der Dunkelziffer ganz zu schweigen.»
«Fahrlässige Vergewaltigung …?», schaltete Torp sich plötzlich verwundert ein. «Ich weiß, was fahrlässige Tötung ist, aber fahrlässige Vergewaltigung?»
«So eine Anzeige hat man schnell am Hals», erwiderte Anton. «Man braucht sich nur im Vollrausch danebenzubenehmen. Wenn dich eine Frau nach Hause begleitet, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie mit dir schlafen will. Aber Männer wollen gern glauben, dass eine Frau, die mit ihnen besoffen auf ihrer Bude rumhängt, in deinem Fall also im Kinderzimmer, auch Sex haben will. Den Zahn kann ich dir sofort ziehen: So ist es nicht. Fahrlässige Vergewaltigung bedeutet, dass nicht beide Partner einverstanden waren. Dazu bedarf es keinerlei Gewalt oder Drohungen. Kurzum: Es darf niemals der geringste Zweifel bestehen, worauf die Frau – oder der Mann – Lust hat.»
«Aha …»
«Gibt dir das jetzt zu denken?», Anton grinste vielsagend. «Merk dir einfach diese simple Regel: Schläft die Frau, oder ist sie bewusstlos, lässt du’s bleiben. Das Gleiche gilt, wenn du einen Vorstoß gewagt und ein Nein kassiert hast.» Anton sah Kval an. «Man sollte meinen, das sei gesunder Menschenverstand?»
«Der ist vermutlich vor ein paar Jahren ausgestorben, zusammen mit dem Gewissen», antwortete Kval. «Wir leben im 21 . Jahrhundert, Anton. Immer vorwärts. Scheiß auf alles und jeden, mach dein eigenes Ding.»
Kapitel 26
Bachs
Jesu bleibet meine Freude
lief leise im Hintergrund. Die Spots an der Decke warfen ihr Licht in die dunkle Küche des Hofs in Skjeberg. Es war kurz nach halb acht. Zwei Rehe, die über das Feld vor dem Küchenfenster sprangen, aktivierten die Sensoren der Lichtstrahler. Mit einem Mal schien die Sonne wieder hoch am Himmel zu stehen. Die acht grellen Scheinwerfer überfluteten das ganze Grundstück. Die Felder waren von unberührtem Schnee bedeckt, mit Ausnahme der Spuren, die die Rehe hinterlassen hatten – sie waren in den Wald gelaufen und dort verschwunden. Nach zwanzig Sekunden kehrte die Dunkelheit zurück.
Mery und Adam saßen jeweils an den Längsseiten des drei Meter langen Küchentischs. Mery blickte schräg auf Peter, der am Kopfende Platz genommen hatte. Zielstrebig schob er sich eine Gabel zwischen die Lippen. Er griff nach dem Saftglas und nahm einen Schluck, bevor er sich wieder über das goldene Omelette hermachte, das mit Schinken, Salami, Champignons und Schnittlauch angereichert war. Ihr Blick schweifte zu Adam, der mit seiner Gabel im Essen herumstocherte. Er sah zu ihr auf. Als hätte ihm sein alter Kriegerinstinkt verraten, dass er beobachtet wurde. Seine Augen wirkten müde. Vor einer Stunde hatte sie ihn draußen auf dem Hof gesehen. Lediglich mit ein Paar Baumwollhosen und einem weißen T-Shirt bekleidet. Zur selben Zeit hatte das Thermometer am Küchenfenster acht Grad minus angezeigt. Mit Sicherheit war es inzwischen noch weiter gesunken.
Nach viereinhalb Jahren auf dem Hof war Mery klug genug, nicht nachzufragen. Eine solche Stimmung hatte sie zwischen Peter und Adam noch nie erlebt. Sie waren auch früher schon mal unterschiedlicher Meinung gewesen, manchmal hatte es in Peters Büro sogar lautstarke Diskussionen gegeben, aber noch nie hatte eine derart eisige Kälte zwischen den beiden geherrscht.
Peter Jäckel räusperte sich. Legte die Gabel auf eine Serviette neben dem Teller und sagte: «Die Stimmung hier im Raum ist beklemmend,
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