Kälteeinbruch (German Edition)
sitzen und dachte an das, was ihn oben erwartete. Wiederholte die Fußbewegung mehrere Male. Immer wenn der Umdrehungspfeil nach rechts oben zeigte, entfuhr ihm ein hysterisches, beinahe kindisches Lachen.
Sieben Stockwerke über ihm saßen eine Brünette und eine Blondine von Anfang zwanzig. Aller Wahrscheinlichkeit nach trugen sie kaum mehr als einen Stringtanga und vielleicht einen BH . Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich viel übergezogen hatten, seit er sie vor einer knappen halben Stunde verlassen hatte. Beide waren Models, die vorzugsweise für Herrenmagazine posierten. Dementsprechend hatte er sie für das heutige Fotoshooting und das Interview mit
MANN
angeheuert. Mit der Blondine hatte er vor einigen Wochen zum ersten Mal geschlafen, und noch bevor der Abend zu Ende wäre, hätte er beide flachgelegt. Gleichzeitig.
Aber das interessierte ihn jetzt nicht. Nicht in diesem Moment. Und nicht hier unten. Denn solange er hier saß und dem Dröhnen des Motors lauschte, bestand kein Zweifel: Er würde jede Möse der Welt links liegenlassen, wenn er sich zwischen ihr und dem M 3 der Bayerischen Motoren Werke entscheiden müsste. Der gab ihm einfach mehr. Von den Unterhaltskosten ganz zu schweigen – die waren deutlich niedriger.
Im Rückspiegel sah er, dass ein anderer Bewohner des Wohnkomplexes auf dem Weg in die Garage war. Das elektrische Garagentor ging auf. Er nahm den Fuß vom Gas, legte den Gang ein und bugsierte den Wagen mit aufheulendem Motor auf seinen Privatparkplatz neben dem Fahrstuhl.
Beim Aussteigen spürte er, wie ihm der Beutel in der Innentasche seiner Anzugsjacke gegen die Brust schlug. Dort war der Stoff sicher. Nach der Geschmacksprobe im Industriegebiet von Alnabru war er bestimmt nicht von allein herausgekrochen. Dennoch klopfte er sich sachte mit der Hand gegen die Brust, um
ganz
sicherzugehen.
Sein Handy piepte. Das Display zeigte eine SMS von einer Nummer, die nicht eingespeichert war. «Wo steckst du? Die Journalisten sind gleich da!» Gefolgt von einem Smiley, der die Zunge herausstreckte.
« 1 min», schrieb er zurück und fügte ein Semikolon und eine Klammer hinzu. Sie waren ganz vernarrt in Smileys, die spindeldürren Silikonpüppchen. In Smileys, Geld und weißes Gold aus Kolumbien. Er auch, nur auf die Smileys hätte er gut verzichten können. Sie waren nicht lebensnotwendig, anders als der Rest.
Die Blondine trippelte auf hohen Absätzen und in einem verschwindend kleinen Stringtanga, der ihren rasierten Schritt gerade so verdeckte, über das Parkett. Sie umarmte ihn, dann fragte sie schnell: «Hast du’s …?» Sie lächelte ihn verführerisch an und drückte sich an ihn. Er überragte sie um einen Kopf. «Hast du’s bekommen?» Sie stand so dicht vor ihm, dass ihre nackten Brüste seinen Oberarm berührten. «Sag schon.»
Nils Jahr sah sie entrüstet an und antwortete: «Wenn ich etwas verspreche, halte ich Wort.» Ohne darüber nachzudenken, machte er sich den einzigen Vorteil zunutze, den er sich nicht mühevoll hatte erarbeiten müssen. Das Einzige, was er in diesem Leben umsonst mitbekommen hatte. Die eine Waffe, die ihn zweifelsohne auch dann ganz nach oben gebracht hätte, wenn er nicht über die nötige Intelligenz und Willenskraft verfügt hätte.
Seine Augen. Sein Blick. Niemand konnte ihm widerstehen. Niemand widersprach ihm.
Sie lächelte verlegen und sah unsicher zu Boden. Wie jedes andere Freudenmädchen auch, wenn es kapierte, dass ein paar nackte Titten nicht ausreichten, um die gewünschte Aufmerksamkeit zu erhalten.
Er genoss diese Unsicherheit.
Er schob sie von sich weg und bewegte sich schnell über den langen Flur, vorbei an dem Gaskaminofen aus schwarzem Marmor, dem Schlafzimmer und seinem Büro. Ging dann nach links und gelangte durch die Küche ins Wohnzimmer. Die Brünette, die zu seiner großen Enttäuschung einen BH übergezogen hatte, stellte ihr Champagnerglas auf den überdimensionalen Glastisch, der die gesamte Fläche innerhalb des hufeisenförmigen Sofas einnahm. Sie winkte zaghaft und lächelte ihn von der hintersten Sofakante aus an. Noch immer fast nüchtern und deshalb etwas gehemmt. Die beiden waren einander vor anderthalb Stunden zum ersten Mal begegnet. Das war in Ordnung. Sie würde bestimmt bald auftauen.
Am anderen Ende des Wohnzimmers stand der Fotograf und schien so gut wie startklar zu sein. Schirmartige Aufbauten aus weißem Stoff umgaben die Kamera. Der Fotograf nickte Nils kurz zu, um zu zeigen, dass er
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