Kälteeinbruch (German Edition)
haben.»
«Mmh.» Kval lehnte sich gegen die kahle Bürowand.
«Was an der Seiersten-Schule zwischen Nils und Viggo vorgefallen ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Nils ihn nicht mochte. Andererseits gibt es aber auch nicht so viele Möglichkeiten, wenn man bedenkt, dass er heute, sechzehn Jahre danach, immer noch fühlt, wie er fühlt.»
«Widerlich», sagte Torp.
Kval forderte Torp auf, ihm den Stuhl vor dem Schreibtisch zu überlassen, und nahm Platz. Beugte sich vor und stützte die Unterarme auf die Tischplatte.
«Es kann auch noch andere geben», warf Anton ein.
«Andere?»
«An denen Holm sich vergangen hat. Das hier könnte nur die Spitze des Eisbergs sein. Der Mann war sein ganzes Leben lang Lehrer. Das mit Nils muss Anfang der Neunziger passiert sein. Was ist mit den Siebzigern und den Achtzigern? Im schlimmsten Fall taucht eine ganze Horde von Männern auf, die ein Motiv haben.»
Kval wiegte bedächtig den Kopf. «Wir sollten uns davor hüten, den Mann allzu leichtfertig als Kinderschänder abzustempeln, wir haben bisher keine handfesten Beweise. Eine vage Zeugenaussage von diesem Weibsbild, dass irgendwas
Furchtbares
passiert sei, und der Umstand, dass Nils zu seinem Neffen gesagt haben soll, Viggo Holm sei in seinen Augen ein Dreckskerl, reichen nicht aus. Nils hat übrigens auch früh seine Mutter verloren.»
«Du hast recht», sagte Anton nachdenklich. «Vielleicht hat er mit dem
furchtbaren Vorfall
den frühen Verlust seiner Mutter gemeint.»
«Er hat auch noch einen zweiten Vornamen», teilte Torp ihnen mit. «Auf seiner Klingel stand ein L. Nils L. Jahr.»
«Ja und?», fragte Anton desinteressiert.
Torp zuckte mit den Achseln. «Wollte es bloß erwähnt haben. Nils Lars?»
«Wer heißt denn bitte schön Nils Lars?», feixte Anton. Dann sagte er: «Findet heraus, wo Viggo Holm sonst noch unterrichtet hat und wer der Rektor war, als Nils auf die Seiersten-Schule ging.»
Kapitel 32
Bernandas Mielkos hatte von der abgestandenen Luft die Schnauze so gestrichen voll, dass er sie förmlich zu schmecken schien. Er nahm einen Zug an seiner Zigarette und behielt den Rauch für einige Sekunden im Mund, bevor er ihn durch die Nase wieder ausstieß. Er stand auf der Terrasse auf der Ostseite des Häuschens. Die Verandatür hatte er hinter sich geschlossen, damit die wenige Warmluft, die der Ölofen zu produzieren vermochte, nicht nach draußen entwich. Er nahm einen weiteren Zug. Es ging ein leichter Wind. Eine Hand steckte in der linken Tasche seiner Daunenjacke. Er drehte sich um und starrte durch die verglaste Verandatür auf die beiden Jungen, dachte über den Raum im Keller nach. Instinktiv hatte er Darius die Leiter hochgescheucht, nachdem er selbst durch die Luke gekrochen war. Als befürchtete er, die Bosheit, die dort in den Wänden lauerte, könnte den schmächtigen Jugendlichen verschlucken.
Ihm wurde übel. Das Kamerastativ allein war Erklärung genug für all die Dinge, die dort unten stattgefunden hatten. Bernandas hatte sich die einzelnen Spielsachen nicht genau angesehen, dennoch war ihm aufgefallen, dass sie nicht benutzt aussahen. Als wären sie gar nicht beim Spielen zum Einsatz gekommen, sondern hätten lediglich als Requisiten gedient, um die Phantasie dieses perversen Schweins anzuheizen.
Bernandas schnipste die Kippe in den Schnee. Öffnete die Verandatür und ging hinein. Beim Geräusch seiner schweren Stiefel fuhren die beiden Jungen zusammen. Sie sahen zu ihm hoch. Bernandas wich ihren Blicken aus und setzte seinen Weg in die Küche fort. Er hörte die Jungen leise miteinander reden, während der Stift über das Papier kratzte. Er ging zur Küchenzeile und schaute sein Handy an. Immer noch nichts.
Heute war Donnerstag. Bald musste etwas passieren. Es war schon Nachmittag. Der Teufel sollte sie holen.
Eine Viertelstunde später klingelte endlich sein Handy. Bernandas stürmte aus der Tür und rannte zur Klippe.
«Ist er unterwegs?», eröffnete er das Gespräch.
«Ja. Arturas ist in ein paar Stunden da. Du kriegst die Koordinaten gleich per SMS .»
Bernandas wollte ihm gerade von dem Raum im Keller berichten, doch Doskino hatte bereits aufgelegt.
Er ging zurück zum Haus. Beschloss, sofort aufzubrechen. Wollte den Treffpunkt auskundschaften, bevor Arturas eintraf. Sein Bauchgefühl begann, Warnsignale auszusenden, er fürchtete, dass die Dinge möglicherweise nicht so laufen würden, wie man es ihm gesagt hatte. Nicht, weil er Doskino misstraute, sondern
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