Kälteschlaf - Indriðason, A: Kälteschlaf - Harðskafi
gerngehabt hast«, begann sie vorsichtig.
Erlendur blätterte in seinem Buch.
»Aber sie war sehr verliebt in dich.«
Erlendur schwieg.
»Das sagt vielleicht einiges über diese merkwürdige Beziehung aus«, sagte Eva Lind.
Immer noch schwieg Erlendur und blickte auf das Buch, das er in der Hand hielt.
»Sie hat gesagt, es hätte keinen Sinn, mit dir zu reden«, bohrte Eva Lind weiter.
»Ich weiß nicht, was wir für dich tun können, Eva. Wir können keinen gemeinsamen Nenner finden. Ich hatte dir das ja gesagt.«
»Mama ist derselben Meinung.«
»Ich weiß, was du versuchen möchtest, aber … Wir sind schwierige Eltern, Eva.«
»Sie sagt, dass ihr euch besser nie getroffen hättet.«
»Wahrscheinlich wäre das besser gewesen«, gab Erlendur zu.
»Also ist es total hoffnungslos?«
»Den Eindruck habe ich.«
»Es war einen Versuch wert.«
»Natürlich.«
Eva starrte ihren Vater an. »Ist das alles, was du dazu sagen kannst?«
»Können wir versuchen, das alles zu vergessen?«, sagte er und schaute von seinem Buch hoch. »Ich habe es versucht. Sie auch. Es hat nicht geklappt. Diesmal nicht.«
»Aber vielleicht später, glaubst du?«
»Ich weiß es nicht, Eva.«
Eva Lind stöhnte. Sie nahm eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. »Was für ein verdammter Schwachsinn. Ich hatte gedacht, dass man vielleicht … Ich hatte gedacht, dass man das, was zwischen euch steht, einigermaßen bereinigen könnte, aber das ist wohl hoffnungslos. Ihr seid ein total hoffnungsloser Fall.«
»Ja, wahrscheinlich.«
Beide schwiegen eine Weile.
»Ich habe immer versucht, uns vier als Familie zu sehen«, erklärte Eva Lind. »Und das tue ich immer noch. Ich tue so, als seien wir eine Familie, was wir natürlich nicht sind und nie gewesen sind. Ich dachte, wir könnten, wie soll man sagen, irgendeine Art von Frieden um uns herum schaffen. Ich fand, dass das vielleicht uns allen helfen könnte, mir und Sindri und auch dir und Mama. Verdammt.«
»Wir haben einen Versuch gemacht, aber wir sind nicht weit gekommen. Jedenfalls nicht im Augenblick. Ich denke, wir hätten uns auch schon längst ausgesöhnt, falls der Wille dazu vorhanden gewesen wäre.«
»Ich habe ihr von deinem Bruder erzählt. Sie wusste nichts darüber.«
»Nein, über ihn habe ich nie mit ihr gesprochen, genauso wenig wie mit anderen. Ich habe nie mit jemandem über ihn gesprochen.«
»Sie war sehr erstaunt. Sie hat auch deine Eltern nicht gekannt, meine Großeltern. Sie schien überhaupt wenig über dich zu wissen.«
»Vorgestern war der Geburtstag deiner Großmutter«, sagte Erlendur. »Kein besonderer Geburtstag, aber sie wurde an diesem Tag geboren. Ich habe immer versucht, sie an diesem Tag zu besuchen.«
»Ich hätte sie gern kennengelernt«, sagte Eva Lind.
Erlendur sah von seinem Buch auf. »Sie hätte dich sicher auch gern kennengelernt«, sagte er. »Wahrscheinlich hätten sich die Dinge etwas anders entwickelt, wenn sie länger gelebt hätte.«
»Was liest du da?«
»Ein sehr tragische Geschichte.«
»Ist das die über deinen Bruder?«
»Ja. Ich würde gern … Darf ich sie dir vorlesen?«
»Du brauchst das nicht zu kompensieren«, erklärte Eva Lind.
»Was?«
»Wie Mama und du euch benehmt.«
»Nein, ich möchte, dass du sie hörst. Ich möchte sie dir gern vorlesen.«
Erlendur hob das Buch hoch, blätterte ein paar Seiten zurück und begann mit leiser, aber fester Stimme über ein furchtbares Unwetter vorzulesen, das sein ganzes Leben geprägt hatte.
Eine Tragödie in den
Bergen von Eskifjörður
Aufgezeichnet von Dagbjartur Auðunsson
Jahrhundertelang konnte man von Eskifjörður nach Fljótsdalshérað nur über die hohen Berge hinter Eskifjörður gelangen. Es handelte sich um einen alten Reitweg, der nördlich des Flusses Eskifjarðará über den Bergrücken Langihryggur am Ufer der Innri-Steinsá entlang ins Vinárdalur mit seinen Hängen führte und über eine Geröllhalde hoch am Urðarklettur vorbei, wo man das Gebiet verließ, das zum Eskifjörður gehörte. Nördlich davon liegt das Þverá-Tal zwischen den Bergen Andri und Harðskafi, und noch weiter nördlich sind Hólafjall und Selfjall.
Im Inneren des Eskifjörður war früher der Hof Bakkaselshjáleiga. Heute ist der Hof verlassen, aber um die Mitte des Jahrhunderts lebte dort der Bauer Sveinn Erlendsson mit seiner Frau Áslaug Bergsdóttir und zwei Söhnen, acht und zehn Jahre alt. Sveinn hatte eine kleine Schafzucht, war aber auch Lehrer
Weitere Kostenlose Bücher