Käpt'n Ebbs Seebär und Salonlöwe
seiner Verpflichtung bewußt, mit den Passagieren näher Bekanntschaft zu schließen, und bat Burtweed um Rat, wie er dies bewerkstelligen solle. «Es ist schwer möglich, in private Gespräche hineinzuplatzen», erklärte er. «Aber andernfalls scheinen sie kaum Notiz von mir zu nehmen. Stellen Sie sich vor», fuhr er entrüstet fort, «heute morgen stand ich zwanzig Minuten lang beim Schwimmbassin, und die einzige Person, die mich zur Kenntnis nahm, war eine dieser jungen Turnerinnen: sie spritzte mich von oben bis unten an. Ich glaube, absichtlich.»
«Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Sir», sprach Burtweed entgegenkommend, «sollten Sie regelmäßig erscheinen. So wie die Stewards mit der Fleischbrühe und der Eiscreme.»
«Glauben Sie, daß das besser wäre?»
«Oh, gewiß, Sir. Dann wissen die Passagiere, daß Sie zu einem bestimmten Zeitpunkt auftauchen, und sind sich im klaren darüber, daß Sie nicht wegen irgendeines Verstoßes hinter ihnen her sind oder sonntags mit dem Sammelteller die Runde machen oder die Rennspiele leiten wollen, Sir.»
«Ich verstehe», sagte Ebbs zweifelerfüllt. «Ich nehme an, Kapitän Buckle hielt pünktlich seine geselligen Runden ein?»
«Und wie, Sir! Jeden Tag Schlag halb eins pflegte er zu sagen: Mit Respekt zu sagen, Sir.»
Daher verließ Ebbs pünktlich um halb eins seine Kabine und schritt das Bootsdeck mit der eisern entschlossenen Munterkeit eines Wahlkandidaten ab. Doch er mußte bemerken, daß sein Nahen so ähnlich wirkte, als wäre er ein Sesselverleiher gewesen: die Passagiere stoben entweder davon oder vergruben wie der Vogel Strauß ihre Häupter in den Büchern, oder sie versanken augenblicklich in tiefen Schlaf.
Nach dem Anblick der schlummernden Annette hoffnungsvoll seine Runde fortsetzend, stieß Ebbs auf Kanonikus Swingle, der in einem korrekten und dezenten Leinenanzug dasaß und ein Buch las.
«Na, Kanonikus!» rief er. «Nicht einmal so kalt heute, was?»
Der Kanonikus dachte tief nach und erwiderte nach einer Weile: «Nein, gewiß nicht. Heute ist's nicht einmal so kalt, Kapitän.»
Ebbs warf einen Blick auf die glasklare See. «Stürmisch», riskierte er noch zu sagen.
Nach einem einige Sekunden dauernden sorgfältigen Mustern des Horizonts erklärte der Kanonikus: «Eine gnadenvolle Ruhe.»
«Na ja», sagte Ebbs. Er salutierte. «Na ja», wiederholte er.
Kanonikus Swingle nickte und versenkte sich wieder in den Buchabschnitt, den er mit dem Finger bezeichnet hatte.
Die nächste Zielscheibe seiner Höflichkeiten war Mrs. Lomax, die um die Ecke bei den Aufbauten saß.
«Guten Morgen, Madam! Genießen Sie die linden Lüftchen des Meeres? »
Auf ihrem Gesicht erschien ein Ausdruck gespanntester Aufmerksamkeit, und sie begann mit ihrem Hörapparat zu hantieren.
«Einen Augenblick, Kapitän!» sagte sie nervös.
«Inkommodieren Sie sich bitte nicht!» rief Ebbs. «Ich fragte Sie nur, ob Sie die linden Lüftchen des Meeres genießen?»
«Was sagten Sie, Kapitän?» fragte sie. Sie glaubte sichtlich, er fordere sie auf, sich um ihres lieben Lebens willen in die Fluten zu stürzen.
«Ich sagte bloß: » brüllte Ebbs. Zwei Mädchen in benachbarten Liegestühlen, offensichtlich in bewußtlosem Schlafe liegend, brachen in Gekicher aus.
«Oh, die linden Lüftchen? Ja, ja!» sagte Mrs. Lomax erleichtert, als ihr ein Licht aufgegangen war. «O ja, sehr, danke bestens, Kapitän! »
«Und wie befinden Sie sich heute?» fragte Ebbs weiter, so laut, daß ihn fast das ganze Deck hörte.
«Sehr schlecht. Wirklich sehr schlecht.»
«Aber Sie sehen ausgezeichnet aus, Madam!» brüllte er ermunternd.
«Mein Aussehen trügt. Seit jeher. Mir geht's schon seit Jahren sehr schlecht. Seit endlosen Jahren.» Sie seufzte. «Ich habe jetzt gar nichts mehr, worauf ich mich freuen könnte, ausgenommen den Augenblick, da ich wieder mit meinem teuren Gatten vereint sein werde.»
«Na sicher!» donnerte Ebbs. «Möchte wetten, daß er Sie mit einem Blumenstrauß am Kai von Fremantle erwartet! »
«Er ist seit mehreren Jahren tot», sagte sie und brach in ein lautes Schluchzen aus.
Ebbs stolperte in seiner Verlegenheit nach rückwärts, stieß gegen den Fuß einer chaise-longue, warf ein Tablett mit Eiscreme-Schüsselchen zu Boden und verbarg sich hinter
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