Käpt'n Ebbs Seebär und Salonlöwe
brüllend und einander boxend den langen Tisch, auf dem die Eßsachen aufgestapelt waren. Die Kleineren und Scheueren wurden beiseite gestoßen, wobei sie kreischend protestierten. Sah solch ein kleiner Gast einen noch kleineren mit einem anregenden Bissen, so schnappte er ihn weg. Die größeren Kinder in der Nähe der Tür hatten einen auf gegenseitigem Vorteil beruhenden Waffenstillstand geschlossen und futterten wie besessen drauflos, ohne den Nachbarn zur Kenntnis zu nehmen; die Kleinsten am anderen Ende des Salons hinwiederum sahen das Essen nur als eine Begleiterscheinung des Hauptvergnügens an, das darin bestand, die Speisen auf den Schotten, den Stewards, den andern und sich selbst zu verschmieren; die Kinder in der Mitte übten sich in einer Art Kompromiß dieser beiden Verhaltensmöglichkeiten.
«Gott sei mir gnädig!» rief Ebbs.
«Der Kapitän!» schrie die mütterliche Stewardess. Sie war eine rosige, grauhaarige Frau; ihre Figur glich einem Bündel Luftballons. «Schaut, Kinderchen!» Sie klatschte energisch in die Hände. «Der Kapitän, Kinderchen! Kommt jetzt alle her - nimm sofort diese Schüssel von deinem Kopf, Raymond, das ist sehr unartig -, der Kapitän ist da! Begrüßt den Kapitän! Begrüßt ihn aus voller Kehle, Kinder - Mary, hör sofort auf, sei nicht so roh -, stimmt jetzt in den Willkommgruß ein - eins, zwei, drei -»
Aus allen Mündern brach ein Brüllen, das durch das gleichzeitige Zerkauen der Speisen einigermaßen dumpf klang.
Ebbs schneuzte sich. «Äh - guten Tag, ihr Kinder», sagte er, als hätte er ihnen eine ernste Nachricht beizubringen.
«Ich bin ja so froh, daß Sie gekommen sind, Sir!» rief die Stewardess glücklich. «Die lieben Kleinen verehren doch den Kapitän so sehr! Und unterhalten sie sich nicht geradezu wundervoll?» Ihre Augen leuchteten. «Wird Ihnen nicht das Herz warm bei diesem Anblick, Sir? Ich möchte jedenfalls die große Kinderjause auf dem Schiff nicht um mein Leben missen! Nun werde ich Sie herumführen, ja, Sir?»
«Ist das unbedingt notwendig?» flüsterte Ebbs. Da die Kinder nunmehr keine Notiz von ihm nahmen und wieder darauf verfallen waren, einen neuen Ansturm auf die Speisen und aufeinander zu unternehmen, sah er eine kleine Chance, zu entwischen.
«Aber sie wären so enttäuscht, wenn Sie's nicht täten, Sir!»
«Na schön», sagte Ebbs. «Das gehört wohl zu meinen Pflichten.»
«Das ist Terence», begann sie munter, auf ein blasses Kind weisend, das einen schwungvollen, mit verkühltem Kork gezeichneten Schnurrbart trug. «Sag dem Kapitän schön guten Tag.»
Terence schleuderte Ebbs einen Blick tiefster Abneigung entgegen.
«Aber, Terence!» schalt sie. «Du hast ja deine gute Eiscreme gar nicht fertiggegessen! Bist du aber ein schlimmer Bub! »
«Mag nicht! »
«Also los! Sei ein braver kleiner Junge, und iß sie auf!»
«Sie ist so garstig.»
«Unsinn! Die ist gar nicht garstig. Überhaupt nicht garstig, nicht wahr, Kapitän?»
«Überhaupt nicht», murmelte Ebbs pflichtbeseelt.
«Schau», sagte sie und griff nach einem Eßlöffel auf dem Tisch. «Der Kapitän wird sie essen. Nicht wahr, Kapitän, Sie möchten sie essen?»
Sie kratzte die schmelzende Eiscreme auf der Schüssel zusammen und bot sie Ebbs dar, der langsam den Mund aufklappte und sie herunterwürgte.
«Herrlich», sagte er grimmig, indem er sich bemühte, dem Kind einen Blick erstaunten Entzückens zuzuwerfen. «Mmmm!»
«Siehst du, Terence? Dem Kapitän schmeckt deine gute Eiscreme. Und das hier ist Harriet», fuhr sie fort, ihn zu einer kleinen, spitz aussehenden Elfenkönigin hinüberdrehend. «Nun, wie sagt man denn zum Kapitän, Harriet?»
Harriet besah sich Ebbs lange Zeit und brach dann in Tränen aus.
«Du lieber Himmel» rief Ebbs. «Hoffentlich habe ich das Kind nicht verschreckt?»
«O nein, Sir, sie weint immer.» Die Stewardess betätigte geübt ihr wohl erprobtes Taschentuch. «Sie weint fast ununterbrochen seit London. Und warum weinst du jetzt, Harriet?»
«Ich mag das Fruchtgelee nicht», schluchzte Harriet.
«Aber das ist doch ein wundervolles Gelee, Harriet! Nicht wahr, Kapitän? »
Ebbs nickte hilfreich.
«Schau, Harriet», sie nahm dem Kind den Löffel aus der Hand. «Sieh dir mal den Kapitän an - dem schmeckt dein gutes Gelee ganz köstlich. Nicht wahr, Kapitän?»
Ebbs schluckte das Orangegelee, als wäre es Rizinusöl.
«Na also!» Triumphierend gab die Stewardess den Löffel zurück. «Ich hab dir doch gesagt, daß es
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