Käptn Snieders groß in Fahrt
nämlich noch über eine Stunde.“
Max setzte sich ans Heck und ruderte. Es war eine elende Quälerei und brachte sie kaum voran, aber sie waren beschäftigt.
Die Sonne zündete im Untergehen den ganzen Himmel an. Die Jungen saßen und schauten. Unmerklich begann das Wasser wieder zu fallen, und ganz sachte nahm es das Floß mit. Als es dunkel geworden war, fragte Wolfgang: „Können wir denn auch in der Nacht fahren?“
„Klar“, antwortete Kluten, „wenn der Mond scheint, sehen wir doch genug.“
„Und wenn uns jemand rammt?“
„Pah! Wer wohl? Die großen Pötte fahren doch draußen in der Fahrrinne, und den kleinen Seglern und Motorbooten können wir leicht ausweichen.“
Eine Brise kam auf, sanft fächelnd wie ein Schlaflied. Die drei sahen der wachsenden Nacht entgegen und waren still. Hin und wieder schlug eine Welle mit hellem Plätschern gegen den Floßrand. Eine große Ruhe kam mit der Dunkelheit über das Wasser. Die Fracht- und Tankschiffe hatten Positionslaternen gesetzt, aus ihren Wohnräumen fiel weißes Licht. Die Jungen spürten das Leben hinter den runden und eckigen Fenstern. Ein Segler glitt lautlos vorüber.
„Wie tief mag es hier sein?“ fragte Wolfgang in die Stille hinein. „Vier bis fünf Meter“, antwortete Kluten.
„Ganz schön tief.“
Immer deutlicher trat der Vollmond hervor, und bald schimmerten die Sterne wie Diamanten auf schwarzem Samt. Die Jungen legten sich auf den Rücken und sahen nach oben.
„Stimmt das eigentlich, daß der Mond was mit Ebbe und Flut zu tun hat?“ fragte Kluten.
„Quatsch“, sagte Max, „wer hat dir denn das erzählt?“
„Ach, du glaubst wohl an das Seeungeheuer von Käpten Snieders,
was?“
„Was für ’n Seeungeheuer?“
„Och, er hat uns doch so ’ne tolle Geschichte aus seiner Fahrenszeit erzählt, von einem großen Tier, das im Ozean liegt und das Wasser mal einsaugt und mal ausspuckt.“
„Der Alte muß eine ganz putzige Kruke sein. Was man von dem alles so hört!“
„Ist er auch, du, da kann Heinecke sich hinter verstecken.“
„Der Mond hat was mit Ebbe und Flut zu tun“, sagte Wolfgang. „Er zieht das Wasser an, und weil die Erde sich dreht, gibt es mal einen Wasserberg und mal ein Wassertal.“
„Versteh’ ich nicht“, sagte Max, „kann ich mir auch gar nicht vorstellen, daß Wasser einen Berg bilden soll.“
»Es ist aber so, wir haben’s in der Schule gelernt.“
„Hm“, fragte Kluten, „ist es schwer bei euch, das Lernen?“
„Nee, wieso?“
„Ihr habt doch mehr Lehrer als einen, nicht?“
„Ja, in unserer Klasse unterrichten sieben.“
„Wir haben immer nur einen.“
„Darum sind wir auch alle so dämlich“, mischte sich Max ein. „Hat damit gar nichts zu tun“, sagte Wolfgang, „wenn er gut ist, kannst du genausoviel bei einem lernen.“
Eine Weile schwiegen sie.
Dann sagte Max: „Heinecke hat mal erzählt, daß der Mond von der Erde abgeplatzt ist, so weggeschleudert. Das halte ich für Quatsch, denn dann müßte doch irgendwo in Australien so ’n großes, rundes Loch sein.“
„Oder in Ritzenfleth“, spottete Kluten.
„Ich mein’ das ja nur als Beispiel, Mensch! Habt ihr schon mal gehört, daß es irgendwo auf der Erde so ein Loch gibt?“
„Klar“, sagte Kluten, „den Ozean.“
„Meinst du, daß der ganze Mond da ’reinpaßt?“
„Warum nicht, wenn er sich ’n bißchen dünn macht!“
„Ich glaube“, sagte jetzt Wolfgang, „der Mond wurde von der Erde weggeschleudert, als sie noch gar keinen Ozean hatte, sondern ein glühender Gasball war wie die Sonne. Darum hat es nie ein Loch gegeben.“
„Meinst du? Das muß aber geknallt haben, was?“
„Wie ein paar tausend Atombomben.“
Kluten stützte sich auf die Ellenbogen.
„Mensch, wir treiben genau auf ein Boot zu“, rief er. „Ans Ruder, Leute, sonst rammen wir’s noch!“
Wolfgang sprang auf, steckte den Schneeschieber ins Wasser und paddelte heftig. Max und Kluten halfen mit den Händen. Sie schafften es gerade noch. In kaum einem Meter Entfernung trieb das Floß an dem vor Anker liegenden Motorboot vorbei.
Da hörten sie Schreie, halberstickt und gedämpft, dann ein Poltern und Scharren wie bei einem Kampf.
Sie saßen still und lauschten.
Das Floß trieb vorüber, die Geräusche wurden leiser und verebbten.
„Ich glaube, da passiert was“, flüsterte Kluten, „vielleicht ein Mord.“
„Ach, Quatsch, da liegen sich nur ’n paar Besoffene in den Haaren, das konnte man doch
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