Kafka am Strand
jetzt – er ist so ruhig und doch voll der lebhaften Neugier eines Knaben, und ein beharrlicher, auf ein Zentrum gerichteter Geist liegt auch darin.«
»Wie in einem Film von François Truffaut.«
»Genau«, sagte der Inhaber und klopfte dem jungen Hoshino unwillkürlich auf die Schulter. »Eigentlich ist es genau das Gleiche, was auch Truffauts Werken zugrunde liegt. Lebhafte Neugier und ein beharrlicher, auf einen Mittelpunkt gerichteter Geist.«
Als die Musik zu Ende war, durfte der junge Mann noch einmal das Erzherzog-Trio hören, gespielt von Rubinstein, Heifetz und Feuermann. Und während er lauschte, gab er sich aufs Neue längeren Betrachtungen hin.
Ich werde Nakata so lange wie möglich begleiten und die Arbeit Arbeit sein lassen, beschloss Hoshino.
35
Als morgens um sieben das Telefon klingelt, liege ich noch in tiefem Schlaf. Im Traum dringe ich ins Innere einer Höhle vor und suche gebückt, eine Taschenlampe in der Hand, in der Dunkelheit nach etwas. Da höre ich, wie jemand vom Eingang der Höhle her einen Namen ruft. Es ist mein Name. Weit entfernt, schwach. Mit lauter Stimme antwortete ich. Aber dieser Jemand scheint mich nicht zu hören und ruft hartnäckig weiter meinen Namen. Ratlos richte ich mich auf und mache mich auf den Weg zum Eingang der Höhle. Gleich werde ich den Rufer ja finden, denke ich. Aber zugleich bin ich im Innersten erleichtert, dass er nicht zu finden ist. An dieser Stelle wache ich auf. Ich schaue mich um und sammle allmählich die verstreuten Teile meines Bewusstseins wieder ein. Mir wird klar, dass das Telefon klingelt. Das Telefon in der Bibliothek. Ich ziehe den Vorhang beiseite, und das frische Morgenlicht scheint ins Zimmer. Saeki-san ist nicht mehr da. Ich liege allein im Bett.
In T-Shirt und Boxershorts springe ich aus dem Bett und laufe zum Telefon. Obwohl ich eine ganze Weile dazu brauche, klingelt es unaufhörlich weiter.
»Hallo?«
»Hast du noch geschlafen?«, sagt Oshima.
»Ja.«
»Tut mir leid, dass ich dich an deinem freien Tag so früh wecke, aber es ist etwas Unangenehmes passiert.«
»Etwas Unangenehmes? Was denn?«
»Die genauen Umstände erkläre ich dir später, auf jeden Fall musst du vorläufig eine Weile verschwinden. Ich komme gleich zu dir. Kannst du schnell ein paar Sachen zusammenpacken? Wenn ich auf den Parkplatz fahre, steigst du sofort, ohne etwas zu sagen, zu mir in den Wagen. Verstanden?«
»Ja.«
Gehorsam gehe ich auf mein Zimmer und packe. Sonderlich zu beeilen brauche ich mich nicht. Innerhalb von fünf Minuten bin ich fertig. Ich muss nur meine gewaschenen Sachen holen, die im Bad zum Trocknen hängen, mein Waschzeug, ein Buch und mein Tagebuch in den Rucksack packen, und das war’s. Ich ziehe mich an und mache das zerwühlte Bett, indem ich das zerknitterte Laken straff ziehe, das zerknautschte Kissen aufschüttele und die Decke glatt streiche. Ich verwische alle Spuren. Dann setze ich mich hin und denke an Saeki-san, die noch bis vor kurzem bei mir gewesen ist.
Bevor der grüne Mazda-Roadster auf den Parkplatz fährt, esse ich noch ein leichtes Frühstück aus Cornflakes und Milch. Ich spüle das benutzte Geschirr und räume es weg, putze mir die Zähne und wasche mir das Gesicht. Als ich es im Spiegel genauer erforschen will, höre ich den Wagen.
Das Wetter wäre ideal, um im offenen Cabrio zu fahren, aber das Verdeck ist geschlossen. Den Rucksack über der Schulter gehe ich rasch zum Wagen und setze mich auf den Beifahrersitz. Wie letztes Mal befestigt Oshima meinen Rucksack geschickt auf dem Gepäckträger. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille von Armani und über seinem weißen T-Shirt mit V-Ausschnitt ein kariertes Leinenhemd. Zu den weißen Jeans hat er dunkelblaue Lowcuts von Converse an den Füßen, lässige Freizeitkleidung eben. Er reicht mir eine dunkelblaue Mütze mit einem North-Face-Logo.
»Du hast deine Mütze irgendwo verloren, hast du gesagt. Du kannst die hier haben. Wenn nötig, kannst du sie tief ins Gesicht ziehen.«
»Danke.« Ich setze die Mütze auf. Oshima nimmt mich prüfend in Augenschein und nickt zustimmend.
»Eine Sonnenbrille hast du, oder?«
Ich nicke, hole meine Rebo Skyblue aus der Tasche und setze sie auf.
»Cool«, sagt Oshima mit einem Blick auf mein Gesicht, »und jetzt dreh die Mütze mal nach hinten.«
Folgsam drehe ich die Mütze, sodass der Schirm nach hinten zeigt.
Wieder nickt Oshima.
»Super, wie ein Rap-Sänger aus gutem Haus.«
Er legt den Gang ein, tritt langsam
Weitere Kostenlose Bücher