Kafka am Strand
aufs Gaspedal und lässt die Kupplung kommen.
»Wohin fahren wir?«, frage ich.
»Wo wir schon mal waren.«
»Nach Kochi in die Berge?«
Oshima nickt. »Wird wieder eine lange Fahrt«, sagt er und schaltet die Stereoanlage im Wagen ein. Ein heiteres Stück von Mozart mit Streich- und Blasinstrumenten ertönt. Ich erinnere mich, es schon gehört zu haben. Die Posthorn-Serenade.
»Hast du die Berge schon satt?«
»Nein, mir gefällt es dort. Es ist ruhig, und ich kann lesen.«
»Gut«, sagt Oshima.
»Und was ist das Unangenehme?«
Oshima wirft einen kritischen Blick in den Rückspiegel. Dann schaut er mich flüchtig an und sieht wieder nach vorn.
»Erstens hat die Polizei sich wieder gemeldet. Sie haben gestern Abend bei mir angerufen. Inzwischen wird ernsthaft nach dir gefahndet. Die Stimmung hat sich völlig geändert.«
»Aber ich habe doch ein Alibi. Oder?«
»Natürlich. Dein Alibi ist bombensicher. Am Tag des Mordes warst du die ganze Zeit in Shikoku. Das steht auch nicht in Zweifel. Aber es besteht immerhin die Möglichkeit, dass du mit jemandem ein Komplott geschmiedet hast.«
»Ein Komplott?«
»Vielleicht hattest du einen Komplizen. So was in der Richtung.«
Einen Komplizen? Ich schüttele den Kopf. »Woher kommt denn so eine Geschichte?«
»Die Polizei hat mich wie üblich nicht näher informiert. Sie fragen andere gern aus, aber ihre eigene Mitteilsamkeit ist eher bescheiden. Also habe ich die ganze Nacht im Internet nach Informationen gesucht. Ich habe auch eine Menge gefunden, bis hin zu einer Sonderseite über den Fall. Du hast es zu einiger Berühmtheit gebracht. Der Vagabundenprinz, der den Schlüssel zur Tat in Händen hält.«
Ich zucke kurz die Achseln. Vagabundenprinz?
»Außerdem weiß man bei diesen Angaben leider nie genau, inwieweit sie wahr sind und woher die Vermutungen stammen. Zusammengefasst ergibt sich ungefähr folgendes Bild: Die Polizei sucht zurzeit nach einem Mann, etwa Mitte sechzig, der in der Tatnacht eine Polizeiwache an der Einkaufsstraße von Nogata aufgesucht und gestanden hat, kurz zuvor in der Nachbarschaft einen Menschen getötet zu haben. Mit einem Messer erstochen. Allerdings redete er so viel ungereimtes Zeug, dass der wachhabende junge Polizist ihn für verrückt hielt und nicht ernst nahm. Er hörte sich die Geschichte gar nicht erst richtig an und ließ den Mann gehen. Als der Mord entdeckt wurde, erinnerte der Polizist sich natürlich wieder an den Alten und begriff, dass er einen schweren Fehler begangen hatte. Er hatte den Mann nicht einmal nach Namen und Adresse gefragt. Hätte er die Sache jetzt noch seinem Vorgesetzten gemeldet, hätte er sich auf etwas gefasst machen können. Also hielt er den Mund. Aber durch irgendwelche Umstände – welche weiß ich nicht – kam der Sachverhalt doch ans Licht. Gegen den Polizisten wurde natürlich ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Damit ist seine Laufbahn wahrscheinlich leider beendet.«
Oshima schaltete herunter, überholte einen weißen Toyota Tasel vor uns und scherte zügig wieder auf die Fahrspur ein.
»Die Polizei versucht nun mit allen Mitteln, diesen alten Mann ausfindig zu machen. Die genauen Hintergründe sind unbekannt, aber er scheint geistig behindert zu sein. Nicht schwer behindert, nur ein bisschen daneben. Er lebt von der Unterstützung durch seine Verwandten und von Sozialhilfe. Er wohnt allein. Aber in seiner Wohnung ist er nicht mehr. Als die Polizei ihm auf die Spur gekommen war, hat sich herausgestellt, dass er sich per Anhalter auf den Weg nach Shikoku gemacht hat. Der Fahrer eines Überlandbusses erinnert sich, dass ein solcher Mann von Kobe aus mit ihm gefahren ist. Er wusste noch, dass der Mann eine sonderbare Ausdrucksweise hatte und seltsame Dinge sagte. Ein jüngerer Mann, etwa Mitte zwanzig, soll bei ihm gewesen sein. Beide stiegen am Bahnhof Tokushima aus. Der Polizei ist es sogar gelungen, das Hotel zu ermitteln, in dem die beiden in Tokushima übernachtet haben. Der Wirtin zufolge wollten sie mit dem Zug nach Takamatsu weiterfahren. Eure Spuren überschneiden sich ständig. Auch du bist, genau wie der alte Mann, von Nogata in Nakano nach Takamatsu gefahren. Das passt zu gut zusammen, um ein Zufall zu sein. Natürlich wittert die Polizei da einen Zusammenhang. Ihr könntet euch verschworen und die Tat gemeinsam geplant haben. Diesmal haben sie auch jemanden vom Hauptstadtpräsidium geschickt. In der ganzen Stadt wird nach dir gefahndet. Die Bibliothek ist kein sicheres
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