Kafka am Strand
Vergleich ist vielleicht etwas übertrieben, aber irgendwie komme ich mir vor wie ein Jünger von Buddha oder Jesus. So muss es gewesen sein, Buddha zu folgen. Dabei geht es nicht um komplizierte Dinge wie eine Lehre oder die Wahrheit, sondern um dieses Gefühl.
Als ich klein war, hat mir Großvater manchmal von Buddhas Jüngern erzählt. Einer von ihnen hieß Myoga, ein ziemlich dämlicher Kerl, der sich nicht ein einziges einfaches Sutra merken konnte, sodass die anderen Jünger sich über ihn lustig machten. Eines Tages sagte Buddha Shakyamuni zu ihm: »He, Myoga, du bist ja nicht gerade der Klügste, also brauchst du keine Sutren mehr zu lernen. Stattdessen setzt du dich in den Flur und putzt die Schuhe von den anderen.« Myoga war ein unkomplizierter Mensch, und deshalb murrte er nicht: »Das soll wohl ein Witz sein, Shakyamuni. Du kannst mich mal«, sondern putzte gehorsam zehn, zwanzig Jahre lang fleißig die Schuhe. Und eines Tages erlangte er – peng – mit einem Mal die Erleuchtung und wurde einer der herausragendsten Jünger Shakyamunis. Dass Hoshino sich noch so gut an diese Geschichte erinnerte, lag wohl daran, dass er ein Leben, in dem einer zehn oder zwanzig Jahre Schuhe putzte, so beschissen gefunden und für den hinterletzten Quatsch gehalten hatte. Aber als er jetzt noch einmal darüber nachdachte, rührte diese Geschichte in seinem Herzen eine besondere Saite an.
Das Leben ist so oder so beschissen, dachte er. Als ich klein war, hab ich das nur noch nicht gewusst.
Bis das Erzherzog-Trio zu Ende war, dachte er an nichts anderes. Die Musik half ihm bei seinen Spekulationen.
»Wie hieß diese Musik noch?«, fragte er den Inhaber, ehe er das Café verließ. »Sie haben es mir gesagt, aber ich hab’s vergessen.«
»Das war Beethovens Erzherzog-Trio.«
»Was für ein Trio?«
»Das Erzherzog-Trio. Beethoven hat dieses Stück für den österreichischen Erzherzog Rudolph komponiert. Erzherzog-Trio ist auch nicht der offizielle Name des Stücks, es wird nur so genannt. Erzherzog Rudolph war der Sohn von Kaiser Leopold II., also ein Mitglied der kaiserlichen Familie. Er war musikalisch sehr begabt, wurde mit sechzehn Jahren Beethovens Schüler und lernte bei ihm Klavier und Musiktheorie. Er wurde ein großer Verehrer von Beethoven. Rudolph vollbrachte als Pianist und Komponist keine großen Leistungen, aber in praktischen Dingen war er dem weltfremden Beethoven eine große Hilfe und stand ihm in jeder Lebenslage zur Seite. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte Beethoven einen noch viel schwereren Lebensweg gehabt.«
»Auf der Welt muss es auch solche Menschen geben.«
»Völlig richtig.«
»Wenn es nur hochbegabte Genies gäbe, wäre die Welt ganz schön in Schwierigkeiten. Irgendjemand muss ja die Augen offen halten und die alltäglichen Dinge erledigen.«
»Sie sagen es. Wenn alle Genies wären, gerieten wir in große Schwierigkeiten.«
»Ein sehr schönes Stück.«
»Ein wundervolles Stück. Man bekommt es niemals satt. Von den Klaviertrios, die Beethoven geschrieben hat, ist es das genialste und vornehmste. Beethoven hat es mit vierzig geschrieben und danach nie wieder ein Klaviertrio komponiert. Vielleicht empfand er es selbst als den Höhepunkt seines Schaffens.«
»Ich glaube, das verstehe ich. Alles muss einen Höhepunkt haben«, sagte Hoshino.
»Bitte beehren Sie mich bald wieder.«
»Ja, ganz bestimmt.«
Als er ins Zimmer zurückkam, schlief Nakata, wie vorauszusehen gewesen war, noch immer. Da dies nun zum zweiten Mal geschah, wunderte der junge Mann sich nicht besonders. Sollte er ruhig schlafen, wenn er schlafen wollte. Der Stein lag noch in der gleichen Position an seinem Kopfende. Hoshino legte die Tüte mit den Brötchen daneben. Dann badete er und zog seine neue Wäsche an. Die bis dahin getragene steckte er in eine Papiertüte und warf sie in den Mülleimer. Er legte sich ins Bett und schlief sofort ein.
Um neun Uhr am nächsten Morgen wachte Hoshino auf. Nakata lag noch in unveränderter Haltung auf dem Futon neben ihm. Er atmete ruhig und gleichmäßig. Er schlief ganz fest. Hoshino frühstückte allein und bat die Wirtin, seinen Begleiter nicht zu wecken.
»Sie brauchen die Futons nicht wegzuräumen«, sagte er.
»Macht es denn nichts, wenn er so lange schläft?«, sagte sie.
»Nein, nein, das ist völlig in Ordnung. Er stirbt nicht. Seien Sie ganz beruhigt. Wenn er so schläft, kommt er wieder zu Kräften. Ich kenne ihn.«
Am Bahnhof kaufte er eine Zeitung,
Weitere Kostenlose Bücher