Kafka am Strand
angemessener darauf reagieren. Im Moment bist du mitten in etwas Wunderbarem. Vielleicht wirst du nie wieder mit etwas so Wunderbarem gesegnet sein, so wunderbar ist es. Dennoch bist du im Augenblick außerstande, es richtig zu begreifen. Deine Ungeduld lässt dich verzweifeln.
Du malst dir aus, was sie jetzt gerade tut. Heute ist Montag, und die Bibliothek hat geschlossen. Was tut Saeki-san eigentlich an solchen Tagen? Du stellst dir vor, dass sie allein in ihrer Wohnung ist, und siehst einzelne Szenen vor dir – sie wäscht, sie kocht, sie putzt und macht Einkäufe. So lange, bis der Gedanke, dass du hier festsitzt, dir den Atem nimmt. Du möchtest dich in eine kühne Krähe verwandeln und diese Berghütte verlassen. In den Himmel fliegen, über die Berge, dich vor ihrem Haus niederlassen und ihr für alle Ewigkeit zusehen.
Oder vielleicht kommt Saeki-san in die Bibliothek und klopft an deine Zimmertür. Keine Antwort. Die Tür ist nicht abgeschlossen, und sie entdeckt, dass du fort bist. Auch deine Sachen sind nicht mehr da. Das Bett ist ordentlich gemacht. Sie überlegt, wohin du wohl gegangen sein könntest, und beschließt, eine Weile auf deine Rückkehr zu warten. Dazu setzt sie sich vielleicht auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, stützt das Kinn in die Hände und betrachtet »Kafka am Strand«. Denkt an die in dem Bild gehortete Vergangenheit. Sie wartet lange, doch du kommst nicht zurück. Also gibt sie es auf und verlässt dein Zimmer, geht zum Parkplatz, steigt in ihren Golf und lässt den Motor an. Du willst sie nicht so gehen lassen. Du möchtest dort sein, sie fest in die Arme schließen und die Bedeutung jeder einzelnen Bewegung ihres Körper verstehen. Aber du bist nicht dort, du bist allein an einem Ort, der von aller Welt abgeschnitten ist.
Du gehst zu Bett, löschst das Licht und wünschst dir, Saeki-san möge im Raum erscheinen. Auch wenn es die Fünfzehnjährige wäre. Du willst sie sehen, ganz gleich in welcher Gestalt, als lebendigen Geist oder als Vision. Du wünschst dir, dass sie bei dir wäre. Diese Gedanken überfluten deinen Verstand. Dein Körper scheint in winzige Splitter zu zerspringen. Doch so sehr du dich auch danach sehnst, solange du auch wartest, sie kommt nicht. Nur der Wind wispert vor dem Fenster, und hin und wieder ertönt der dumpfe Schrei eines Nachtvogels. Mit angehaltenem Atem starrst du angestrengt in die Dunkelheit. Lauschst auf das Rauschen des Windes und versuchst, seinen Sinn zu deuten. Irgendeine Botschaft zu erspüren. Doch nur die verschiedenen Schattierungen von Dunkelheit hüllen dich ein. Bald gibst du es auf, schließt die Augen und schläfst ein.
38
Hoshino suchte im Branchenverzeichnis, das in der Wohnung bereit lag, unter den Autovermietungen in der Stadt eine geeignete heraus und rief dort an.
»Ich brauche einen normalen PKW für zwei, drei Tage. Nicht groß und möglichst unauffällig.«
»Wissen Sie, mein Herr«, sagte sein Gesprächspartner. »Wir vermieten hier Wagen der Firma Mazda. Also haben wir nicht einen einzigen auffälligen PKW.«
»Dann ist’s ja gut.«
»Wie wäre es mit einem Familia? Ein zuverlässiger Wagen, und unauffällig. Das garantiere ich Ihnen bei allen Göttern.« Die Autovermietung lag in Bahnhofsnähe. Hoshino sagte, er komme den Wagen in einer Stunde abholen.
Er fuhr allein mit dem Taxi hin, wies Kreditkarte und Führerschein vor und mietete den Wagen zunächst für zwei Tage. Der weiße Familia auf dem Parkplatz war tatsächlich ausgesprochen unauffällig, geradezu der Inbegriff von Anonymität. Kaum hatte man den Blick von ihm abgewandt, wusste man schon nicht mehr, wie er aussah.
Auf der Fahrt zurück zur Wohnung kaufte Hoshino in einem Buchladen einen Stadtplan von Takamatsu und eine Straßenkarte von Shikoku. In der Nähe entdeckte er ein CD-Geschäft und fragte dort nach Beethovens »Erzherzog-Trio«. Da es sich um einen kleinen Laden an der Landstraße ohne eine größere Klassikabteilung handelte, hatten sie nur eine preiswerte Version des »Erzherzog-Trios« und leider keine Aufnahme des Million-Dollar-Trios, aber Hoshino kaufte die CD, zumal sie bloß tausend Yen kostete.
Als er zurückkam, stand Nakata in der Küche und bereitete routiniert ein Gericht aus Rettich und ausgebackenen Tofu-Scheiben zu. Ein köstlicher Duft erfüllte die ganze Wohnung. »Nakata hatte Zeit und hat ein paar Sachen gekocht«, sagte er.
»Prima. Wenn man ständig auswärts isst, kriegt man mit der Zeit auch mal Appetit auf
Weitere Kostenlose Bücher