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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sich. Dann kommt sie ins Bett. Unnötig zu erwähnen, dass mein Penis steif wird. Er wird sehr hart. Aber seit gestern schmerzt er nicht mehr. Die Rötung der Eichel ist unbemerkt verblasst.
    Als ich es müde bin, mich meinen sexuellen Fantasien hinzugeben, gehe ich nach draußen und absolviere mein übliches Trainingsprogramm. Ich umfasse das Geländer der Veranda und trainiere meine Bauchmuskeln, mache in schnellem Tempo Squats und schwierige Dehnübungen. Als mir der Schweiß ausbricht, tauche ich ein Handtuch in den Bach im Wald und wische mich damit ab. Das kalte Wasser kühlt meine aufgepeitschten Sinne. Anschließend setze ich mich auf die Veranda und höre Radiohead auf meinem Discman. Seit ich von zu Hause fort bin, habe ich fast die ganze Zeit immer wieder die gleiche Musik gehört. »Kid A« von Radiohead und »Greatest Hits« von Prince und manchmal »My Fair Lady« von John Coltrane.
    Um zwei Uhr am Nachmittag – genau zurzeit der Bibliotheksführung – gehe ich in den Wald. Ich folge dem kleinen Pfad vom letzten Mal und gelange wieder auf die Lichtung. Dort setze ich mich ins Gras. An einen Baumstamm gelehnt, sehe ich durch die überhängenden Äste zum Himmel hinauf. Am Rand des runden Durchgucks sind weiße Sommerwolkenspitzen zu sehen. Bis hierher reicht die sichere Zone; noch kann ich problemlos zur Hütte zurückkehren. Ein Labyrinth für Anfänger, oder, um es in der Sprache der Videospiele auszudrücken, Level 1, also leicht zu bewältigen. Doch mit jedem weiteren Schritt würde ich in ein tieferes, riskanteres Labyrinth geraten. Der Pfad würde immer schmaler werden, bis das Meer der Farne ihn bis zur Unkenntlichkeit verschluckt.
    Dennoch beschließe ich, ein bisschen weiter vorzudringen.
     
    Ich will herausfinden, wie weit ich in den Wald eindringen kann. Mir ist bewusst, dass dort Gefahr lauert. Doch ich will mit eigenen Augen sehen und am eigenen Leib erfahren, wie diese Gefahr aussieht und wie bedrohlich sie ist. Ich kann nicht anders. Irgendetwas treibt mich dazu.
    Aufmerksam folge ich dem, was mir wie ein Weg erscheint. Die Bäume werden immer stattlicher. Die Luft wird dichter und schwerer. Die Äste über mir verschränken sich nun so dicht, dass der Himmel kaum noch sichtbar ist. Die Leichtigkeit des Sommers, die mich gerade noch umgeben hat, ist verschwunden. Jahreszeiten scheinen hier nicht zu existieren. Bald stellen sich Zweifel ein, ob der Weg, den ich gehe, überhaupt noch einer ist. Es sieht aus wie ein Weg und hat die Form eines Weges, scheint jedoch in Wirklichkeit keiner zu sein. Der erstickende Atem des Grüns lässt Definitionen und Begriffe verschwimmen. Recht und Unrecht vermischen sich. Eine Zeit lang krächzt über mir eine Krähe. Sehr durchdringend. Vielleicht warnt sie mich. Ich halte inne und sehe mich aufmerksam um. Es ist zu gefährlich, ohne ausreichende Ausrüstung weiter vorzudringen. Zeit für den Rückzug.
    Aber das ist nicht gerade einfach. Wahrscheinlich ist es schwieriger, als vorwärts zu gehen. Genau wie bei Napoleons Rückzug. Nicht nur, dass der Weg kaum zu erkennen ist, die umgebenden Bäume stehen auch so dicht, dass sie wie eine schwarze Mauer alle Sicht versperren. Mein Atmen klingt ungewöhnlich laut. Wie ein Windzug, der durch einen Spalt aus einem Winkel der Welt herüberweht. Ein handgroßer schwarzer Schmetterling durchquert mein Blickfeld. Seine Form ähnelt dem Blutfleck auf meinem weißen T-Shirt. Er taucht aus dem Schatten der Bäume auf, taumelt langsam durch die Luft und verschwindet wieder im Schatten der Bäume. Als der Schmetterling nicht mehr zu sehen ist, wird die Umgebung noch düsterer und die Luft ein Grad kühler. Angst befällt mich, ich könnte den richtigen Weg aus dem Blick verloren haben. Nah über mir schreit wieder die Krähe, anscheinend derselbe Vogel mit derselben Botschaft. Ich bleibe stehen, um noch einmal nach oben zu schauen, kann aber keinen Vogel entdecken. Ab und zu weht unvermittelt ein ganz realer Wind, und die dunklen Blätter zu meinen Füßen rascheln unruhig. Alle möglichen Schatten scheinen hinter meinem Rücken umherzuhuschen, doch wie abrupt ich mich auch umwende, immer haben sie sich schon irgendwo versteckt.
    Trotz allem schaffe ich es irgendwie, auf die runde Lichtung – meine ruhige Insel der Sicherheit – zurückzufinden. Wieder setze ich mich ins Gras und atme tief durch. Ein ums andere Mal sehe ich zum hellen Rund des realen Himmels hinauf, um mich zu überzeugen, dass ich in meiner

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