Kafka am Strand
doch eine Bibliothek ist, könnten wir zuerst mal lesen. Nakata nimmt sich ein Buch mit Fotos oder Bildern, und Sie können sich ein Buch zum Lesen aussuchen.«
»Verstehe. Eine Bibliothek ist in erster Linie zum Lesen da. Klingt vernünftig.«
»Über das, was noch kommt, denken wir später nach.«
»In Ordnung. Über Später denken wir später nach. Das ist doch mal eine gesunde Einstellung«, sagte Hoshino.
Beeindruckt durchquerten die beiden den schönen gepflegten Garten und traten durch den altmodischen Flur in das Gebäude. Dort kamen sie gleich an eine Theke, hinter der ein schlanker, gut aussehender junger Mann saß. Er trug ein weißes, durchgeknöpftes Baumwollhemd und eine kleine Brille. Am Scheitel war sein Haar lang, sodass es ihm in die Stirn fiel. Ein Typ wie aus diesen Schwarzweißfilmen von François Truffaut, dachte Hoshino. Der junge Mann lächelte den beiden freundlich entgegen.
»Guten Tag«, sagte Hoshino mit heiterer Stimme.
»Guten Tag«, sagte der junge Mann. »Was kann ich für Sie tun?«
»Also, wir würden gern etwas lesen.«
»Natürlich, bitte«, sagte der junge Mann und nickte. »Lesen Sie nach Herzenslust. Diese Bibliothek steht der Allgemeinheit offen.
Alle Regale sind frei zugänglich, und Sie können nach Belieben wählen. Wir haben ein Karteikartensystem, aber Sie können auch per Computer suchen. Sollten Sie eine Frage haben, wenden Sie sich bitte umgehend an mich. Ich helfe Ihnen gern.«
»Vielen Dank.«
»Interessieren Sie sich für ein spezielles Gebiet oder suchen Sie ein bestimmtes Buch?«
Hoshino schüttelte den Kopf. »Nein, im Augenblick nicht. Wir interessieren uns eigentlich eher für die Bibliothek an sich als für die Bücher. Wir kamen zufällig vorbei, und weil sie so interessant aussah, wollten wir mal reinschauen. Das ist ja ein prächtiges Gebäude.«
Oshima lächelte leicht und anmutig und nahm einen säuberlich gespitzten langen Bleistift in die Hand. »Viele Herrschaften kommen aus diesem Grund.«
»Wie gut«, sagte Hoshino.
»Falls Sie Zeit haben – um zwei Uhr findet eine kleine Führung statt. Die machen wir immer dienstags, wenn es gewünscht wird. Die Leiterin erläutert die Geschichte der Entstehung der Bibliothek.«
»Klingt interessant. Wie sieht’s aus, Nakata, wollen wir?«
Während Hoshino und Oshima sich über die Theke hinweg unterhielten, hatte Nakata, seine Mütze knetend, geistesabwesend umhergeschaut. Als sein Name fiel, kam er wieder zu sich.
»Jawohl. Was gibt es, bitte?«
»Weißt du, um zwei gibt es so was wie eine Besichtigung. Hast du Lust?«
»Jawohl, Herr Hoshino, besten Dank. Nakata würde gern besichtigen«, sagte Nakata.
Interessiert beobachtete Oshima den Austausch zwischen den beiden. Nakata und Hoshino – was wohl für eine Beziehung zwischen ihnen bestand? Wie Verwandte sahen sie nicht aus. Auch von ihrem Alter und ihrem Äußeren her waren sie ein ziemlich seltsames Paar. Er konnte keine Gemeinsamkeiten entdecken. Zudem hatte der ältere Mann, der Nakata hieß, eine sonderbare Art zu reden. Etwas Rätselhaftes ging von ihm aus. Aber er machte keinen schlechten Eindruck.
»Sind Sie von weit gekommen?«, fragte Oshima.
»Ja, aus Nagoya«, antwortete Hoshino schnell, noch bevor Nakata den Mund aufmachen konnte. Käme heraus, dass er aus Nakano war, konnten sich Komplikationen ergeben. Dass ein älterer Mann, auf den Nakatas Beschreibung passte, mit dem Mordfall in Nakano in Zusammenhang gebracht wurde, war bereits durch alle Nachrichtensendungen im Fernsehen gegangen. Wenigstens war, soweit Hoshino wusste, noch kein Foto von Nakata gezeigt worden.
»Das ist ja ganz schön weit«, sagte Oshima.
»Jawohl, wir sind über eine Brücke gekommen. Eine sehr große, prächtige Brücke«, sagte Nakata.
»Ja, wirklich, die Brücke ist gewaltig. Ich habe sie noch nie überquert«, sagte Oshima.
»Nakata hat noch nie im Leben so eine große Brücke gesehen.«
»Diese Brücke zu bauen hat ewig gedauert und eine Menge Geld gekostet«, sagte Oshima. »Der Presse zufolge hat das Straßenbauamt, das für die Brücken und Schnellstraßen zuständig ist, pro Jahr rund hundert Milliarden Yen rote Zahlen geschrieben. Die wurden zum Großteil mit unseren Steuern abgedeckt.«
»Nakata weiß nicht, was hundert Milliarden sind.«
»Genau weiß ich es auch nicht«, sagte Oshima. »Wenn eine Summe einen bestimmten Punkt überschreitet, verliert sie an Realität.«
»Vielen Dank für Ihre Hilfe«, unterbrach Hoshino. Man
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