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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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erforschen, stellen wir fest, dass unsere Maßstäbe um eine Stufe gestiegen sind. Dass die Welt sich für uns rundherum erweitert hat. Ich habe diese Erfahrung auch schon gemacht. Sie kommt selten vor, aber manchmal eben doch. Wie eine große Liebe.«
    Hoshino fehlte noch die Erfahrung mit einer solchen Liebe, aber er nickte trotzdem.
    »So etwas ist bestimmt sehr bedeutsam, oder?«, sagte er. »Ich meine, für unser Leben.«
    »Ja, ich glaube schon«, erwiderte Oshima. »Ohne solche Erfahrungen wäre unser Leben wahrscheinlich dürr und duftlos. Berlioz hat gesagt, wenn jemand sein Leben beschließe, ohne Hamlet gelesen zu haben, habe er es in einem Kohlebergwerk verbracht.«
    »In einem Kohlebergwerk …«
    »Na ja, so haben sie’s im 19. Jahrhundert ausgedrückt.«
    »Vielen Dank für den Kaffee«, sagte Hoshino. »Und für das Gespräch.«
    Oshima lächelte liebenswürdig.
     
    Bis es zwei wurde, lasen Hoshino und Nakata. Hingebungsvoll und in ständiger Bewegung sah Nakata sich die Fotos von den Möbeln an. Außer den beiden Damen trafen nach der Mittagszeit noch drei weitere Besucher ein, aber nur Nakata und Hoshino wünschten die Bibliothek zu besichtigen.
    »Für zwei Teilnehmer lohnt sich das doch gar nicht. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, wenn Sie sich nur wegen uns beiden die Mühe machen«, sagte Hoshino zu Oshima.
    »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Die Bibliotheksleiterin macht die Führung sogar für eine Person«, sagte Oshima.
    Um zwei kam eine gut aussehende Dame mittleren Alters in einem gut geschnittenen dunkelblauen Kostüm die Treppe hinunter. Sie hatte einen schönen geraden Gang und trug schwarze Schuhe mit hohen Absätzen. Ihre Haare waren im Nacken zusammengebunden. In ihrem Ausschnitt schimmerte eine schmale Silberkette. Sie wirkte sehr fein und geschmackvoll. Nichts an ihr war überflüssig.
    »Guten Tag. Mein Name ist Saeki, und ich bin die Leiterin dieser Bibliothek«, sagte sie mit einem leichten Lächeln. »Allerdings sind wir hier nur zu zweit, Herr Oshima und ich.«
    »Hoshino«, sagte Hoshino.
    »Nakata kommt aus Nakano«, sagte Nakata, seine Mütze in den Händen knautschend.
    »Von so weit her. Dann begrüße ich Sie besonders herzlich«, sagte Frau Saeki. Hoshino erschrak, aber ihr schien nichts aufzufallen. Dieser Nakata merkte sowieso und überhaupt nie etwas.
    »Jawohl. Nakata ist über eine sehr große Brücke gefahren.«
    »Ein wundervolles Gebäude«, lenkte Hoshino ab. Wenn Nakata erst einmal von der Brücke anfing, gab es wahrscheinlich kein Halten mehr.
    »Ja, ursprünglich wurde das Gebäude in der Meiji-Zeit als separates Gästehaus an die Bibliothek der Familie Komura angebaut. Zahlreiche Literaten und Künstler sind hier für längere Zeit zu Gast gewesen. Unser Haus stellt einen bedeutenden Teil des kulturellen Erbes von Takamatsu dar.«
    »Liter-raten?« fragte Nakata.
    »Leute, die sich mit Kunst beschäftigen – Schriften verfassen, Gedichte machen, Romane schreiben und so fort. Früher haben die vermögenden Familien der verschiedenen Regionen als Mäzene die Künstler unterstützt. Anders als heute betrieb man die Künste nicht als Lebensunterhalt. Die hiesige Familie Komura gehörte einer vermögenden Schicht an und förderte über lange Jahre die Kultur. Diese Bibliothek dient dazu, ihr Erbe und ihre Geschichte der Nachwelt zu erhalten.«
    »Nakata weiß, was ein Mäzen ist«, sagte Nakata. »Um Mäzen zu werden, braucht man Zeit.«
    Frau Saeki nickte lächelnd. »Ja, nicht wahr? Dazu braucht man Zeit. Auch mit noch so viel Geld kann man Zeit nicht kaufen. Bitte folgen Sie mir nun in den ersten Stock.«
     
    Der Reihe nach besichtigten sie nun die Räume im ersten Stock. Wie üblich erzählte Frau Saeki etwas über die Literaten, die die Zimmer bewohnt hatten, und zeigte die Schriften und Werke, die sie hinterlassen hatten. Auf dem Schreibtisch des Raumes, der Frau Saeki zurzeit als Büro diente, lag wie stets ihr Füllhalter. Nakata nahm während der Tour alles ausgiebig und höchst interessiert in Augenschein, die Erläuterungen freilich schienen an ihm vorbeizurauschen. Es war Hoshinos Aufgabe, Aufmerksamkeit zu zeigen und Frau Saekis Erklärungen mit Nicken oder Ahas aufzunehmen. Die ganze Zeit beobachtete er aus dem Augenwinkel besorgt, ob Nakata auch nichts Merkwürdiges anstellte. Doch der betrachtete nur eingehend die verschiedenen Gegenstände. Frau Saeki erweckte nicht den Eindruck, als sei sie durch Nakata irritiert. Kompetent und

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