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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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konnte ja nie wissen, was Nakata noch alles sagen würde, wenn er den Dingen ihren Lauf ließ. »Wir dürfen also um zwei an der Besichtigung teilnehmen?«, sagte Hoshino.
    »Kommen Sie bitte um zwei Uhr hierher. Die Bibliotheksleiterin führt Sie dann herum«, sagte Oshima.
    »Bis dahin lesen wir dort drüben ein bisschen«, sagte der junge Hoshino.
    Den Bleistift in der Hand zwirbelnd, sah Oshima den beiden nach. Dann nahm er seine Arbeit wieder auf.
     
    Die beiden suchten sich aus den Regalen etwas aus. Hoshino entschied sich für Beethoven und seine Zeit. Nakata nahm mehrere Fotobände über Möbel und legte sie auf ein Pult. Als Nächstes erkundete er wie ein wachsamer Hund genauestens den Raum. Fasste hier an, betastete dort, beschnupperte und beguckte bestimmte Stellen. Da es um diese Uhrzeit noch keine anderen Leser gab, konnte Nakatas Verhalten keinen Anstoß erregen.
    »He, alter Freund«, sagte Hoshino leise.
    »Jawohl, was gibt es bitte?«
    »Ich habe eine dringende Bitte. Ich möchte, dass du möglichst nicht erwähnst, dass du aus Nakano kommst.«
    »Warum denn nicht?«
    »Es würde zu lange dauern, dir das zu erklären. Kurz gesagt, ich finde es besser. Wenn andere Leute erfahren, dass du aus Nakano bist, könnte es Unannehmlichkeiten geben.«
    »Verstanden.« Nakata nickte feierlich. »Unannehmlichkeiten machen ist nicht gut. Nakata wird nicht darüber sprechen, dass er aus Nakano kommt.«
    »Dafür bin ich dir sehr dankbar«, sagte Hoshino. »Hast du übrigens dieses wichtige Ding, das du suchst, schon gefunden?«
    »Nein, Herr Hoshino, noch nichts gefunden.«
    »Aber das hier ist bestimmt der richtige Ort?«
    Nakata nickte. »Jawohl. Gestern Abend vor dem Einschlafen hat Nakata noch mal mit dem Stein geredet. Es gibt keinen Zweifel, hier ist es richtig.«
    »Dem Himmel sei Dank.«
    Hoshino nickte und wandte sich wieder seiner Beethoven-Biografie zu. Beethoven war sehr stolz. Er setzte unbedingtes Vertrauen in sein eigenes Talent und schmeichelte sich nicht bei den Adligen ein.
    Die Kunst, der richtige Ausdruck der Gefühle, war in seiner Welt etwas Erhabeneres, dem Achtung zu zollen war, und er war der Ansicht, dass Macht und Geld ihnen zu dienen habe. Wenn Haydn bei seinem Fürsten lebte, aß er mit dem Gesinde, denn zu seiner Zeit gehörten die Musiker zum Dienstpersonal. (Der gesellige, joviale Haydn zog die Mahlzeiten mit den Dienstboten ohnehin den steifen Diners der Herrschaften vor.)
    Beethoven dagegen geriet in Rage, wenn er sich dergestalt zurückgesetzt fühlte, warf Dinge an die Wand und bestand darauf, neben seinen adligen Auftraggebern bei Tisch zu sitzen. Beethoven war ungeduldig (fast jähzornig) und, wenn er einmal wütend war, schwer wieder zu besänftigen. Aus seinen radikalen politischen Ansichten machte er ebenfalls kein Hehl. Als sein Gehör schlechter wurde, verstärkten sich auch seine Temperamentsausbrüche. Seine Musik gewann mit dem Alter an Weite und zugleich an innerer Dichte. Die Vereinigung dieser Widersprüche gelang niemandem so wie Beethoven. Doch seine außergewöhnliche Schöpferkraft zerstörte allmählich sein reales Leben. Körper und Seele eines Menschen haben ihre Grenzen und sind nicht dafür geschaffen, solchen Extremen standzuhalten.
    »Genies sind doch schwierige Menschen.« Tief beeindruckt unterbrach Hoshino seine Lektüre und seufzte. Im Musiksaal seiner Schule hatte eine Bronzebüste von Beethoven gestanden, an deren grimmige, verbitterte Gesichtszüge er sich noch gut erinnern konnte, aber dass das Leben dieses Mannes so leidvoll gewesen war, hatte er nicht gewusst.
    Kein Wunder, dass er so grimmig guckt, dachte Hoshino. Da verzichte ich lieber darauf, ein berühmter Mann zu werden. Hoshino blickte zu Nakata hinüber. Der vollführte meißelnde und hobelnde Gebärden, während er auf die Bilder von alten Möbeln starrte. Offenbar führte sein Körper ganz von allein die gewohnten Handgriffe aus, wenn Nakata sich Möbel ansah.
    Vielleicht hätte er ein bedeutender Mann werden können, dachte Hoshino. Er wirkt nicht wie ein durchschnittlicher Mensch. Er ist genial.
    Da sich nach zwölf Uhr noch andere Leser einstellten (zwei Damen mittleren Alters), gingen die beiden nach draußen, um Luft zu schnappen. Hoshino hatte sich zum Mittagessen Brot mitgebracht, und Nakata trank wie üblich seinen braunen Tee aus der kleinen Thermosflasche, die er in seinem Beutel mit sich führte. Hoshino hatte bei Oshima an der Theke nachgefragt, ob man irgendwo essen

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