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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zugleich tief verletzt! Was für eine Bedeutung hat es dann überhaupt, jemanden zu lieben? Wie kann so etwas überhaupt passieren?«
    Ich warte auf seine Antwort und sage lange Zeit nichts mehr. Aber es kommt keine Antwort.
    Ich drehe mich um. Krähe ist nicht mehr da. Über mir ertönt das harte Schlagen von Flügeln.
     
    Du BIST RATLOS.
     
    Kurze Zeit später tauchen die beiden Soldaten auf.
    Sie tragen die Felduniform der Kaiserlichen Armee, das kurzärmlige Sommermodell. Sie haben Gamaschen und Tornister auf dem Rücken. Anstelle von Helmen haben sie Schirmmützen auf, und ihre Gesichter sind mit schwarzer Farbe bemalt. Beide sind jung. Der eine, mit einer Nickelbrille, ist groß und dünn, der andere klein, breitschultrig und kräftig gebaut. Seite an Seite sitzen sie auf einem flachen Felsen. Ihre Haltung ist nicht eben kriegerisch. Ihre Infanteriegewehre Modell 38 haben sie zu ihren Füßen abgestellt. Der Größere kaut gelangweilt auf einem Grashalm. Als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, beobachten sie ohne jede Aufregung, wie ich auf sie zukomme.
    Die Landschaft öffnet sich etwas und wird ebener. Wie ein Treppenabsatz.
    »Na?«, sagt der größere Soldat freundlich.
    »Guten Tag«, sagt der Kräftigere mit etwas missmutigem Gesicht.
    »Guten Tag«, grüße ich zurück. Eigentlich hätte mich ihr Anblick erschrecken müssen, aber ich erschrecke nicht, ich wundere mich nicht einmal. Die Sache kommt mir ganz plausibel vor.
    »Wir haben gewartet«, sagt der Lange.
    »Auf mich?«, frage ich.
    »Natürlich«, sagt er. »Wer außer dir soll denn sonst noch kommen?«
     
    »Wir warten schon ewig«, sagt der Kräftige.
    »Na ja, Zeit spielt hier keine sehr große Rolle«, fügt der Lange hinzu. »Trotzdem hat es länger gedauert, als wir erwartet hatten.«
    »Ihr seid die, die vor langer Zeit hier im Wald verschollen sind, oder? Bei dem Manöver«, frage ich.
    Der Kräftige nickt. »Genau.«
    »Man hat lange nach euch gesucht«, sage ich.
    »Wissen wir«, sagt der Kräftige. »Wir wissen, dass sie uns gesucht haben. Wir wissen alles, was hier im Wald vor sich geht. Wie verrückt haben die nach uns gesucht, aber gefunden haben sie uns nicht.«
    »Ehrlich gesagt, wir hatten uns gar nicht verlaufen«, sagt der Lange gelassen. »Man könnte sagen, wir sind abgehauen.«
    »Noch besser gesagt, wir haben zufällig diesen Platz entdeckt und sind geblieben«, fügt der Kräftige hinzu. »Auf alle Fälle haben wir uns nicht bloß verlaufen.«
    »Niemand kann ihn finden«, sagt der Lange. »Aber wir konnten es und du auch. Für uns beide war das jedenfalls ein Glück.«
    »Sonst wären wir nämlich als Soldaten nach Übersee geschickt worden«, sagt der Kräftige. »Hätten Menschen töten müssen oder wären von ihnen getötet worden. Aber dort wollten wir nicht hin. Ich war Bauer, und er hier kam frisch von der Universität. Wir wollten überhaupt niemanden töten, geschweige denn, selber getötet werden. Das ist ja klar.«
    »Wie steht’s mit dir? Hättest du Lust, jemanden zu töten oder getötet zu werden?«, fragt mich der Lange.
    Ich schüttele den Kopf. Ich will niemanden töten. Und von niemandem getötet werden.
    »Das geht allen so«, sagt der Lange, »fast allen wenigstens. Aber im Krieg kann das Vaterland ja nicht freundlich sagen, ›Aha, du willst also nicht kämpfen? In Ordnung, dann brauchst du auch nicht.‹ Abhauen kannst du auch nicht. Wo solltest du dich in Japan schon verstecken? Du würdest überall sofort entdeckt. Schließlich ist Japan nur ein kleines Inselreich, nicht wahr? Also sind wir hier geblieben, dem einzigen Ort, an dem wir uns verbergen konnten.«
    Kopfschüttelnd fährt er mit seiner Geschichte fort.
    »Wir sind also schon die ganze Zeit hier. Seit einer Ewigkeit. Aber wie gesagt, Zeit spielt hier keine große Rolle. Zwischen heute und früher besteht kaum ein Unterschied.«
    Der Kräftige winkt ab. »Gar kein Unterschied.«
    »Ihr habt also gewusst, dass ich herkomme?«, frage ich.
    »Natürlich«, sagt der Kräftige.
    »Wir halten hier ständig Wache, also wissen wir genau, wenn jemand kommt. Wir sind sozusagen ein Teil des Waldes«, sagt sein Kamerad.
    »Immerhin ist hier der Eingang«, sagt der Kräftige. »Und wir beide bewachen ihn.«
    »Augenblicklich ist der Eingang zufällig geöffnet«, erklärt mir der Lange. »Er soll jedoch in Kürze wieder geschlossen werden. Wenn du also wirklich hinein willst, ist jetzt der Moment. Denn der Eingang ist nicht immer

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