Kafka am Strand
offen.«
»Wenn du hineingehst, müssen wir dich führen. Der Weg ist so kompliziert, dass du ohne Führer keine Chance hast«, sagt der Kräftige.
»Aber wenn du nicht willst, musst du hier umkehren«, sagt der Lange. »Der Rückweg ist nicht besonders schwierig. Keine Sorge, du findest wieder ganz zurück und kannst dein Leben weiterführen wie gehabt. Was du tust, hängt allein von dir ab. Niemand zwingt dich. Aber wenn du einmal den Eingang durchschritten hast, ist eine Rückkehr äußerst schwierig.«
»Bringt mich bitte hin«, antworte ich entschlossen.
»Im Ernst?«, sagt der Kräftige.
»Dort drinnen ist jemand, den ich sehen muss. Vielleicht«, sage ich.
Die beiden lassen sich langsam von ihrem Felsen herunter und schultern ihre 38er Gewehre. Sie wechseln einen Blick, dann setzen sie sich vor mir in Trab.
»Du fragst dich vielleicht, warum wir diese schweren Eisendinger noch mit uns herumschleppen«, sagt der Lange, indem er sich zu mir umdreht. »Obwohl sie völlig unnütz sind. Es ist nämlich keine Munition drin.«
»Eigentlich sind sie nur ein Zeichen«, sagt der Kräftige, ohne mich anzuschauen. »Ein Insignium dessen, was wir aufgegeben und zurückgelassen haben.«
»Symbole sind wichtig«, sagt der Lange. »Weil wir zufällig die Gewehre haben und diese Soldatenuniform tragen, fungieren wir als Wachposten. Das ist unsere Rolle. Auch die füllen wir symbolisch aus.«
»Hast du auch so etwas? So etwas wie ein Zeichen«, fragt der Kräftige.
Ich schüttele den Kopf. »Nein. Ich habe gar nichts. Nur Erinnerungen.«
»Hm«, macht der Kräftige. »Erinnerungen?«
»Egal«, sagt der Lange. »Auch die können natürlich großartige Symbole sein. Allerdings weiß man nie, wie weit Erinnerungen tatsächlich reichen oder wie lange sie zuverlässig sind.«
»Da ist etwas, das eine konkrete Form hat, doch besser«, sagt der Kräftige. »Es ist leichter verständlich.«
»Wie zum Beispiel ein Gewehr«, sagt der Lange. »Wie heißt du übrigens?«
»Kafka Tamura«, antworte ich.
»Kafka Tamura«, wiederholen die beiden.
»Komischer Name«, sagt der Lange.
»Ja, wirklich«, sagt der Kräftige.
Den Rest des Weges legen wir schweigend zurück.
44
Die beiden verbrannten die drei Ordner, die Frau Saeki Nakata anvertraut hatte, an einem Flussufer neben der Eisenbahnlinie. Nachdem Hoshino sie sorgfältig mit dem Feuerzeugbenzin, das er in einem Supermarkt gekauft hatte, besprengt hatte, setzte er sie mit seinem Feuerzeug in Brand. Schweigend sahen sie zu, wie die Flammen das Manuskript Seite für Seite verschlangen. Es herrschte nahezu Windstille, sodass der Rauch senkrecht gen Himmel stieg, bis er sich weich in den tief hängenden grauen Wolken verlor.
»Wir dürfen wohl nicht ein bisschen in dem Manuskript lesen?«, hatte Hoshino gefragt.
»Nein, lesen ist verboten«, sagte Nakata. »Nakata hat Saeki-san versprochen, es zu verbrennen, ohne ein einziges Wort zu lesen. Es ist Nakatas Pflicht, dieses Versprechen zu halten.«
»Recht hast du. Was man versprochen hat, muss man halten«, sagte Hoshino. Er schwitzte sehr. »Das gilt für jeden. Trotzdem hätten wir es uns einfacher machen und die Dinger in einem Copy Shop in so einen großen Aktenvernichter werfen können. Das kostet nicht viel. Ich will ja nicht meckern, aber ehrlich gesagt, ich finde die Jahreszeit ein bisschen zu heiß für ein Lagerfeuer. Im Winter mag das ja ganz angenehm sein.«
»Entschuldigen Sie bitte vielmals. Aber Nakata hat Saeki-san versprochen, die Sachen zu verbrennen. Deshalb müssen wir sie auch wirklich verbrennen.«
»Ist schon gut. Wir haben ja auch nichts besonders Dringendes vor. Und auf ein bisschen mehr oder weniger Hitze kommt’s mir auch nicht an. War nur so ein Gedanke.«
Eine zufällig vorbeikommende Katze machte Halt und beobachtete interessiert das so gar nicht jahreszeitgemäße Lagerfeuer am Ufer.
Sie war mager und hatte braune Streifen. Ihre Schwanzspitze war ein bisschen krumm. Da sie wie eine rechtschaffene Katze aussah, hätte Nakata sie gern angesprochen, aber als ihm einfiel, dass Hoshino bei ihm war, ließ er es sein. Wenn Nakata nicht allein war, waren die Katzen zu sehr auf der Hut. Außerdem war er sich nicht mehr sicher, ob er noch mit Katzen sprechen konnte wie früher. Er wollte die Katze auch nicht erschrecken, indem er etwas Seltsames sagte. Inzwischen hatte die Katze ohnehin das Interesse an dem Feuer verloren und war ihrer Wege gegangen.
Nachdem die drei Ordner endlich ganz
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