Kafka am Strand
was?«
»Mmm«, machte der Kater.
»Kein Wölkchen am Himmel.«
»… noch nicht.«
»Meinen Sie, das Wetter hält nicht?«
»Gegen Abend wird es schlechter, das hab ich im Gefühl«, sagte der schwarze Kater und streckte träge ein Bein von sich. Er nahm den Mann nochmals forschend in Augenschein.
Der Mann lächelte dem Kater freundlich zu.
Für einen Augenblick war der Kater verdutzt. »Aha, Sie können sprechen …«, sagte er dann gleichmütig.
»Ja«, erwiderte der alte Mann etwas verlegen und nahm respektvoll seine abgetragene Baumwollmütze vom Kopf. »Nicht dass Nakata immer und mit jeder Katze sprechen kann, aber wenn alles gut läuft, kann er sich einigermaßen unterhalten.«
»Hmm«, kommentierte der Kater knapp.
»Dürfte Nakata sich wohl einen Augenblick hierher setzen? Er ist ein bisschen müde.«
Der schwarze Kater richtete sich langsam auf, seine langen Barthaare zuckten. Er gähnte ausgiebig, als wolle er dabei sein Kinn aushängen.
»Bitte, bitte, setzen Sie sich, wohin Sie mögen. Da hat niemand etwas dagegen.«
»Besten Dank«, sagte der Mann und setzte sich neben den Kater.
»Uff, Nakata ist seit heute Morgen um sechs auf den Beinen.«
»Aha, Sie sind also Herr Nakata, ja?«
»Ja, der Name ist Nakata. Und Sie, Herr Kater, wie ist Ihr werter Name?«
»Hab ich vergessen«, sagte der schwarze Kater. »Nicht dass ich keinen gehabt hätte, aber gebraucht hab ich ihn nie. Also hab ich ihn mit der Zeit vergessen.«
»Ja, was man nicht braucht, ist gleich vergessen. Nakata geht’s genauso«, sagte der Mann und kratzte sich am Kopf. »Übrigens gehören Sie doch sicher jemandem, nicht wahr?«
»Früher hatte ich in der Tat einen Herrn, aber jetzt nicht mehr. Ein paar Leute aus der Nachbarschaft geben mir hin und wieder zu fressen. Aber gehören tu ich keinem …«
Nakata nickte und schwieg eine Weile. »Dürfte Nakata Sie vielleicht Otsuka nennen?«, fragte er dann.
»Otsuka?« Der Kater sah ihn verblüfft an. »Was soll das? Wieso wollen Sie mich Otsuka nennen?«
»Ach, das hat nichts zu bedeuten. Ist Nakata gerade nur so eingefallen. Ohne Namen kann er sich nicht erinnern, also sucht er sich einfach die passenden Namen. Es ist praktischer mit Namen. Ein Dummkopf wie Nakata kann sich alles besser merken, wenn es heißt: Am Nachmittag von dem und dem Tag in dem und dem Monat hat Nakata auf dem leeren Bauplatz in ** den Kater Otsuka kennen gelernt.«
»Hm«, machte der schwarze Kater. »Versteh ich nicht. Katzen brauchen so was nicht. Uns reicht der Geruch und das Aussehen oder so. Das ist weniger umständlich, was?«
»Stimmt, das leuchtet ein. Aber wissen Sie, Herr Otsuka, Menschen sind da anders. Sie müssen sich unbedingt solche Sachen wie das Datum und den Namen merken.«
Der Kater schnaubte. »Wie umständlich!«
»Genau. Zu viel zu behalten. Das ist so unpraktisch. Wenn Nakata bestimmen könnte, würde er sich bloß den Namen von dem Herrn Gouverneur und die Busnummern merken. Stört es Sie, wenn Nakata Sie Otsuka nennt? Sind Sie vielleicht beleidigt?«
»Ich bin nicht gerade begeistert … aber auch nicht beleidigt. Eigentlich ist mir das schnurz. Also, nennen Sie mich Otsuka, wenn Sie wollen. Obwohl ich das Gefühl habe, dass ich nicht Otsuka bin.«
»Darüber ist Nakata sehr froh. Vielen, vielen Dank, Herr Otsuka.«
»Selbst wenn man berücksichtigt, dass Sie ein Mensch sind, kommt mir Ihre Art zu reden ein bisschen sonderbar vor«, sagte Otsuka.
»Ja, das sagen alle. Aber Nakata kann nur so sprechen. Es kommt immer so raus. Weil er schwach im Kopf ist. Früher war er nicht so, aber als Kind hatte er einen Unfall, und danach ist er dumm geworden. Nakata kann nicht schreiben und auch keine Bücher und Zeitungen lesen.«
»Ich bin nicht stolz darauf, aber ich kann auch nicht schreiben«, sagte der Kater und leckte sich ein paar Mal die Innenseite seiner rechten Pfote. »Ich bin ganz normal im Kopf, trotzdem macht mir das nichts aus.«
»In der Katzenwelt ist es ja auch so üblich«, sagte Nakata. »Aber wer in der Menschenwelt nicht schreiben kann, ist dumm. Wer keine Bücher und Zeitungen lesen kann, ist dumm. Das steht fest. Noch dazu wo Nakatas Vater – er ist längst gestorben – ein erstklassiger Universitätsprofessor war. Fachmann für Finanzen. Außerdem hat Nakata zwei jüngere Brüder, und beide sind intelligent. Der eine ist Abteilungsleiter bei Itochu, der andere arbeitet im Ministerium für Handel und Industrie. Beide wohnen in großen Häusern und
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