Kafka am Strand
essen Aal. Nur Nakata ist dumm.«
»Sie können immerhin die Katzensprache.«
»Ja«, sagte Nakata.
»Außer Ihnen kann bestimmt kein Mensch mit Katzen reden.«
»Das ist normal.«
»Da kann man doch nicht sagen, dass Sie dumm sind.«
»Doch, nein, doch – mit so was kennt Nakata sich nicht aus. Aber alle sagen, dass er dumm ist, also kann das nur heißen, dass er wirklich dumm ist. Weil er die Namen von den Haltestellen nicht lesen kann, kann er keine Fahrkarte kaufen und nicht Bahn fahren. Aber Nakata kann Bus fahren, mit seinem Behindertenausweis.«
»Aha«, sagte Otsuka unbeeindruckt.
»Wer nicht lesen und schreiben kann, findet keine Arbeit.«
»Und wovon leben Sie dann?«
»Von der Unterstützung.«
»Unterstützung?«
»Das Geld, das der Herr Gouverneur Nakata schenkt. Nakata wohnt in einem kleinen Zimmer in einem Wohnblock in Nogata und bekommt dreimal am Tag zu essen.«
»Kein übles Leben … könnte ich mir auch vorstellen.«
»Wie Sie sagen, nicht übel«, sagte Nakata. »Vor Regen und Wind geschützt, kann Nakata sorgenfrei leben. Und manchmal – wie jetzt – bekommt er den Auftrag, eine Katze zu suchen. Dafür ist Nakata dankbar. Aber das hält er vor dem Herrn Gouverneur geheim. Deshalb sagen Sie bitte keinem etwas davon. Wenn Nakata Extrageld verdient, kriegt er vielleicht weniger Unterstützung. Und so kann er ab und zu mal Aal essen. Nakata isst gern Aal.«
»Ich esse auch gern Aal. Obwohl es lange her ist, dass ich welchen gegessen habe, und nicht mehr genau weiß, wie er geschmeckt hat.«
»Ja, Aal ist was Besonderes. Anders als anderes Essen. Auf der Welt gibt es viele gute Sachen, aber – soviel Nakata weiß – nichts Besseres als Aal.«
Auf der Straße vor dem Bauplatz führte ein junger Mann einen großen Labrador mit einem roten Halstuch vorbei. Der Hund warf einen Seitenblick auf Otsuka, ging jedoch anstandslos weiter. Otsuka und Nakata schwiegen einen Moment und warteten, bis Herr und Hund vorübergegangen waren.
»Sie suchen also Katzen?«, fragte Otsuka schließlich.
»Ja, Katzen, von denen niemand weiß, wo sie sind. Und weil Nakata ein bisschen Katzensprache kann, sammelt er überall Spuren, die helfen, die verschwundenen Katzen zu finden. Nakata ist Katzensuchexperte geworden, und viele wollen jetzt, dass er ihre Katze sucht, wenn sie weggelaufen ist. In letzter Zeit war Nakata fast jeden Tag auf Katzensuche. Aber er mag nicht weit fortgehen. Er sucht nur in Nakano. Sonst verläuft er sich selber.«
»Sie sind also jetzt auch auf der Suche nach einer Katze?«
»Ja, genau. Nakata sucht eine einjährige weiß-schwarz-braun gefleckte Katze. Sie heißt Goma. Hier ist ein Foto von ihr.« Nakata holte ein Farbfoto aus der Stofftasche über seiner Schulter und zeigte es Otsuka.
»Das ist sie. Sie trägt ein braunes Flohhalsband.«
Otsuka reckte den Hals, um sich das Foto anzusehen. Dann schüttelte er den Kopf.
»Nö, nie gesehen. Ich kenne so gut wie alle Katzen in dieser Gegend, aber die da nicht. Nie gesehen … und nie gehört.«
»Aha.«
»Suchen Sie sie schon lange?«
»Mal überlegen … eins, zwei, drei – heute sind es drei Tage.«
Otsuka dachte nach. »Sie wissen es wahrscheinlich«, sagte er dann, »aber wir Katzen sind Gewohnheitstiere, die am liebsten ein geregeltes Leben führen und größere Veränderungen meiden, wenn nichts Außergewöhnliches vorliegt. Etwas Außergewöhnliches könnte der Sexualtrieb sein oder ein Unfall – meist ist es eins von beiden.«
»Ja, daran hat Nakata auch schon gedacht.«
»Der Sexualtrieb lässt nach einer Weile nach, und die Katze kommt zurück. Wissen Sie, was Sexualtrieb ist?«
»Ja, Nakata hat zwar keine Erfahrung damit, aber er versteht ungefähr, was das ist. Es hat mit dem Pimmel zu tun, stimmt’s?«
»Genau. Mit dem Pimmel.« Otsuka nickte brav. »Aber wenn die Katze einen Unfall hatte, kann sie schwerlich zurückkommen.«
»Ja, genau.«
»Andererseits kommt es auch vor, dass eine läufige Katze zu weit wegläuft und nicht mehr zurückfindet.«
»Wenn Nakata einmal aus Nakano draußen ist, findet er den Rückweg auch nicht mehr.«
»Mir ist das auch schon ein paar Mal passiert. Allerdings als ich noch sehr jung war.« Otsuka kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Wenn man nicht mehr nach Hause findet, gerät man in Panik. Es wird einem schwarz vor Augen, und man weiß überhaupt nichts mehr. Grässlich ist das. Dieser Sexualtrieb ist eine echte Plage. Aber in solchen Zeiten kann man an nichts
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