Kafka am Strand
Falle gehen. Sogar von den gewieften Streunern aus der Gegend soll er schon mehrere erwischt haben. Eine schlimme Geschichte. Für Katzen gibt es nichts Furchtbareres als in einen Sack gesteckt zu werden.«
»Ach«, sagte Nakata und strich sich ein ums andere Mal mit der flachen Hand über seinen stoppligen Graukopf. »Und was macht er mit den Katzen, die er gefangen hat?«
»Das weiß ich auch nicht. Früher soll man ja aus gefangenen Katzen Shamisen hergestellt haben, aber heute ist das kein so beliebtes Musikinstrument mehr, und außerdem verwendet man in letzter Zeit dafür hauptsächlich Plastik. In irgendeinem Teil der Welt soll es Menschen geben, die noch Katzen essen, doch glücklicherweise gibt es diese Sitte in Japan nicht. Daher können wir diese beiden Möglichkeiten wohl ausschließen. Zu bedenken wäre noch, dass viele wissenschaftliche Experimente an Katzen durchgeführt werden. Man benutzt sie für alle möglichen Versuche. Ich habe eine Freundin, die man an der Universität von Tokyo bei einem psychologischen Experiment eingesetzt hat. Eine traurige Geschichte, aber sie ist zu lang, um sie jetzt zu erzählen. Außerdem gibt es noch perverse Menschen – obwohl das nicht so häufig vorkommt –, die einfach nur zum Vergnügen Katzen quälen. Sie fangen eine Katze und schneiden ihr zum Beispiel mit einer Schere den Schwanz ab.«
»Ach?«, sagte Nakata. »Warum denn?«
»Ohne Grund. Nur um der Katze wehzutun und sie zu quälen. Dann fühlen sie sich wohl. Solche perversen Menschen gibt es wirklich.«
Nakata dachte eine Weile darüber nach, aber er kam einfach nicht dahinter, was daran Spaß machen sollte, einer Katze mit der Schere den Schwanz abzuschneiden.
»Wäre es vielleicht möglich, dass so ein perverser Mensch Goma mitgenommen hat?«, fragte Nakata.
Mimi verzog das Gesicht, dass ihre langen weißen Schnurrhaare bebten.
»Tja, daran möchte ich gar nicht denken und es mir auch nicht vorstellen, obwohl man diese Möglichkeit nicht ausschließen kann. In meinem kurzen Leben habe ich schon schlimme Dinge gesehen, die über jede Vorstellungskraft hinausgehen. Die meisten meinen, wir Katzen aalen uns den lieben langen Tag in der Sonne, arbeiten nicht richtig und leben einfach so in den Tag hinein, aber ein Katzenleben ist durchaus nicht so idyllisch. Katzen sind schwache, schutzlose, bescheidene Wesen. Wir haben keinen Panzer wie die Schildkröten und keine Flügel wie die Vögel. Wir können uns nicht wie Maulwürfe in die Erde eingraben oder wie Chamäleons die Farbe wechseln. Die Welt hat keine Ahnung, wie viele Katzen Tag für Tag gepeinigt werden und sinnlos sterben müssen. Ich hatte das Glück, zu der lieben Familie Tanabe zu kommen, werde von den Kindern gehätschelt und kann meine Tage ohne Mangel verbringen. Ja, und dennoch habe ich meine kleinen Sorgen. Deshalb weiß ich, dass das Leben für die streunenden Katzen voll großer Sorgen ist.«
»Sie sind sehr klug, Fräulein Mimi«, sagte Nakata bewundernd angesichts ihrer gewandten Rede.
»Nicht doch«, sagte die Siamkatze und kniff vor Verlegenheit die Augen zusammen. »Das kommt nur, weil ich zu Hause den ganzen Tag vor dem Fernseher liege. Dabei häuft man nur sinnloses Wissen an. Sehen Sie auch fern, Herr Nakata?«
»Nein, Nakata sieht nicht fern. Die Leute im Fernsehen reden immer so schnell, dass Nakata nicht mitkommt. Nakata ist nämlich dumm und kann nicht lesen, und wenn einer nicht lesen kann, kann er das Fernsehen auch nicht gut verstehen. Manchmal hört Nakata Radio, aber auch dabei wird er müde von dem schnellen Reden. Den meisten Spaß macht es ihm, sich unter freiem Himmel mit den Damen und Herren Katzen zu unterhalten.«
»Aha, ich verstehe«, sagte Mimi.
»Jawohl«, sagte Nakata.
»Hoffen wir, dass der kleinen Goma nichts passiert ist«, sagte Mimi.
»Nakata wird sich mal auf diesem Bauplatz umsehen.«
»Kawamura sagte, dieser Mann sei groß, trage einen komischen hohen Hut und hohe Lederstiefel. Und er läuft schnell. Man erkennt ihn sofort, weil er so merkwürdig aussieht. Wenn die Katzen auf dem Bauplatz ihn sehen, rennen sie in alle Richtungen davon wie Spinnenbabys. Aber Neuankömmlinge, die noch nicht Bescheid wissen …«
Nakata nahm die Informationen genau auf und speicherte sie in der wohlgehüteten Schublade für Dinge, die er nicht vergessen durfte. Großer Mann, komischer hoher Hut und Lederstiefel.
»Wenn ich Ihnen sonst irgendwie behilflich sein kann?«, sagte Mimi.
»Meinen aufrichtigsten
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