Kafka am Strand
er konnte keinen Anhaltspunkt entdecken. Überhaupt war Nakata etwas schwach darin, in logischen Zusammenhängen zu denken. Währenddessen kratzte sich Kawamura unbeeindruckt und hingebungsvoll mit der Hinterpfote die Partie unter seinem Kinn.
Auf einmal ertönte hinter ihnen ein leises Lachen. Als Nakata sich umwandte, sah er auf der niedrigen Betonmauer vor dem angrenzenden Haus eine schöne schlanke Siamkatze, die mit zusammengekniffenen Augen zu ihnen herüberschaute.
»Entschuldigen Sie, sind Sie vielleicht Herr Nakata?«, fragte die Katze mit sanfter Stimme.
»Jawohl, Nakata der Name. Guten Tag.«
»Guten Tag«, sagte die Siamkatze.
»Leider ist es schon seit dem Morgen bewölkt, aber nach Regen sieht es nicht aus«, sagte Nakata.
»Hoffentlich gibt es keinen Regen, nicht wahr?«
Die Siamkatze war ein Weibchen, etwa in mittlerem Alter. Ihren geraden Schwanz hatte sie stolz aufgerichtet, und um den Hals trug sie ein Halsband mit Namensschild. Sie hatte ein hübsches Gesicht und kein Gramm Fett zu viel am Körper.
»Bitte nennen Sie mich Mimi. Wie Mimi aus La Bohème. So heißt es auch in dem Lied – ›Mi chiamano Mimi‹.«
»Aha«, sagte Nakata.
»Das ist eine Oper von Puccini. Meine Menschen lieben Opern«, sagte Mimi mit einem liebenswürdigen Lächeln. »Ich würde es Ihnen gern vorsingen, aber unglücklicherweise bin ich darin nicht sehr gut.«
»Hocherfreut Sie kennen zu lernen, Fräulein Mimi.«
»Ganz meinerseits, Herr Nakata.«
»Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Ja, dort drüben, in dem einstöckigen Gebäude. Bei den Tanabes. Dort, wo der cremefarbene BMW in der Einfahrt steht.«
»Aha«, sagte Nakata. Er wusste nicht, was BMW bedeutete, aber er sah den cremefarbenen Wagen. Ob der BMW hieß?
»Wissen Sie, Herr Nakata«, sagte Mimi, »da ich eine – man nennt es wohl – unabhängige Katze mit einer eigenwilligen Persönlichkeit bin, mische ich mich ungern ungebeten in die Angelegenheiten anderer. Aber mit Verlaub, er hier – Sie nennen ihn Kawamura – ist nicht gerade ein großes Licht. Bedauerlicherweise ist er, als er noch klein war, von einem Kind aus der Nachbarschaft mit dem Fahrrad angefahren worden und mit dem Kopf hart auf eine Betonkante aufgeschlagen. Seither bringt er keinen logischen Satz mehr zustande. Deshalb glaube ich nicht, dass Sie etwas bei ihm erreichen, auch wenn Sie weiter so geduldig mit ihm reden. Ich beobachte Sie schon eine Weile und muss mich einfach einmischen, weil ich es nicht mehr mitansehen kann – so unhöflich das auch sein mag.«
»Nein, nein, bitte denken Sie das nicht. Nakata wäre Ihnen überaus dankbar für Ihren Rat. Nakata ist ja genauso dumm wie Herr Kawamura und kommt ohne Hilfe von anderen im Leben nicht zurecht. Deshalb bekommt er ja auch jeden Monat die Unterstützung vom Herrn Gouverneur. Natürlich wäre Nakata auch für Ihre Meinung sehr dankbar, Fräulein Mimi.«
»Sie sind auf der Suche nach einer Katze, nicht wahr?«, sagte Mimi. »Ich habe nicht gelauscht, aber ich halte schon eine Weile hier Mittagsruhe und habe beim Dösen zufällig Ihr Gespräch mitgehört. Sie haben von Goma gesprochen, ja?«
»Jawohl.«
»Und Kawamura hat Goma gesehen?«
»Jawohl. So etwas hat er zuerst gesagt, aber was er danach sagen wollte, kann Nakata einfach nicht verstehen. Es ist so schwierig.«
»Wenn Sie erlauben, Herr Nakata, könnte ich zwischen Ihnen und ihm vermitteln. Wir sind doch beide Katzen, da versteht man sich leichter, und außerdem bin ich ein wenig an seine seltsame Art zu reden gewöhnt. Wie wäre es, wenn ich ihn befrage, alles zusammenfasse und Ihnen dann berichte?«
»Damit würden Sie Nakata wirklich helfen!«
Die Siamkatze nickte leicht und sprang leichtfüßig wie eine Balletteuse von der Mauer auf den Boden. Dann stolzierte sie langsam, den schwarzen Schwanz wie einen Fahnenmast in die Höhe gereckt, näher heran und setzte sich neben Kawamura, der sich sofort anschickte, ihr Hinterteil zu beschnuppern. Prompt fing er sich eine Ohrfeige ein, die ihn zum Rückzug veranlasste. Gleich versetzte Mimi ihm einen weiteren Klaps auf die Nase.
»Also, jetzt raus mit der Sprache, du Idiot. Du blöder Sack«, schrie sie Kawamura mit drohender Stimme an.
»Dem muss man als Erstes mal die Hölle heiß machen«, sagte Mimi erklärend, an Nakata gewandt. »Sonst lässt er sich gehen und faselt immer mehr ungereimtes Zeug. Er kann ja nichts dafür, dass er so ist, und er tut mir auch leid, aber da kann man nichts
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