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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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bedrückt etwas, und ich habe niemand anderen, den ich um Rat bitten könnte«, wage ich mich vor.
    »Bitte, bitte«, sagt er und breitet die Hände aus.
    »Es ist eine lange Geschichte, aber es läuft darauf hinaus, dass ich heute Nacht keinen Platz zum Schlafen habe. Einen Schlafsack habe ich dabei, ich brauche kein Bett und kein Bettzeug, nur ein Dach über dem Kopf. Wo, ist egal. Wüssten Sie da etwas?«
    »Ich schätze, Hotels oder Gasthäuser sind keine Alternativen für dich?«
    Ich schüttele den Kopf. »Aus finanziellen Gründen. Außerdem möchte ich möglichst nicht auffallen.«
    »Besonders nicht dem Jugendamt, oder?«
    »Vielleicht.«
    Oshima denkt kurz nach. »Du könntest hier übernachten«, sagt er dann.
    » In der Bibliothek? «
    »Ja. Ein Dach hat sie ja immerhin, und leere Räume gibt es auch. In der Nacht benutzt sie keiner.«
    »Aber darf man das denn?«
    »Natürlich sind einige Vorbereitungen nötig. Aber möglich wäre es schon. Zumindest nicht unmöglich. Ich glaube, ich kann da etwas für dich tun.«
    »Wie denn?«
    »Du liest gute Bücher und kannst selbständig denken. Äußerlich bist du auch in Ordnung, und du kannst auf eigenen Füßen stehen. Du führst ein geregeltes Leben und kannst deinen Magen absichtlich verkleinern. Du wirst meine Hilfskraft, und ich werde mit Frau Saeki aushandeln, dass du in einem der leeren Zimmer in der Bibliothek wohnen kannst.«
    »Ich werde Ihre Hilfskraft?«
    »Genau, das ist nicht besonders schwer. Du kannst mir beim Offnen und Schließen der Bibliothek helfen. Zum Saubermachen kommt regelmäßig eine Putzfrau, und der Computer wird auch von einem Experten bedient. Sonst gibt es fast nichts zu tun, und du kannst nach Herzenslust lesen. Nicht schlecht, oder?«, sagt Oshima.
    »Natürlich ist das nicht schlecht, aber –«, hebe ich an, weiß aber nicht, was ich sagen soll. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Saeki damit einverstanden ist. Immerhin bin ich ein wildfremder fünfzehnjähriger Junge, der von zu Hause abgehauen ist.«
    »Frau Saeki ist, ja, wie soll ich sagen …«, setzt Oshima an, doch ausnahmsweise fehlen ihm die Worte. »Sie ist kein gewöhnlicher Mensch.«
    »Was heißt das?«
    »Einfach ausgedrückt, sie denkt nicht in konventionellen Kategorien.«
    Ich nicke, habe aber eigentlich keine Ahnung, was sie denkt nicht in konventionellen Kategorien konkret bedeuten soll.
    »Sie ist anders?«
    Oshima schüttelt den Kopf. »Anders kann man eigentlich nicht sagen. Ich bin anders. Sie lässt sich einfach nicht mit gängigen Maßstäben messen.«
    Ich verstehe den Unterschied zwischen »nicht gewöhnlich« und »anders« nicht, habe aber das Gefühl, dass es besser wäre, nicht weiter zu fragen. Zumindest nicht jetzt.
    Nach einer Pause sagt Oshima: »Aber es stimmt schon, es wäre unvernünftig, wenn du so unvermittelt ab heute Nacht hier schlafen würdest. Also bringe ich dich erst mal woanders unter. Bis ich alles geklärt habe, übernachtest du am besten zwei oder drei Tage dort. Macht dir das was aus? Es ist ein bisschen weiter weg.«
    Es mache mir nichts aus, sage ich.
    »Wir schließen um fünf«, sagt Oshima. »Dann räume ich auf, und gegen halb sechs können wir gehen. Ich bringe dich mit dem Auto hin. Zurzeit ist niemand dort, und ein Dach gibt es auch.«
    »Danke.«
    »Bedanken kannst du dich, wenn wir angekommen sind. Vielleicht ist es ganz anders, als du es dir vorstellst.«
     
    Ich gehe in den Lesesaal zurück und lese Klatschmohn weiter. Ein sehr schneller Leser bin ich nie gewesen, eher der Typ, der Zeile für Zeile liest, um den Stil zu genießen. Dabei macht man zwischendurch auch einmal eine Pause. Kurz vor fünf habe ich den Roman ausgelesen, stelle ihn ins Regal zurück, setze mich auf einen Sessel und denke mit geschlossenen Augen an die vergangene Nacht. Und an Sakura. Und an ihre Wohnung. Und an das, was sie für mich getan hat. Vieles verändert sich und bewegt sich vorwärts.
    Um halb sechs warte ich im Flur auf Oshima. Er führt mich zum Parkplatz hinter der Bibliothek, und ich setze mich auf den Beifahrersitz seines grünen Sportwagens – ein Mazda-Roadster. Das Verdeck ist offen. Der Kofferraum des schneidigen Zweisitzers ist zu klein für meinen Rucksack, der deshalb mit einer Schnur an einem Gepäckträger festgebunden wird.
    »Lass uns unterwegs irgendwo etwas essen, denn es wird eine ziemlich lange Fahrt«, sagt Oshima und dreht den Zündschlüssel, um den Motor anzulassen.
    »Wohin fahren wir

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