Kafka am Strand
denn?«
»Nach Kochi«, sagt er. »Warst du da schon mal?«
Ich schüttele den Kopf. »Wie weit ist es denn?«
»Bis wir am Ziel sind, dauert es ungefähr zweieinhalb Stunden. Wir fahren über die Berge und dann nach Süden.«
»Macht es Ihnen nicht zu viele Umstände, mich so weit zu fahren?«
»Nein. Die Straße führt geradeaus, die Sonne geht noch nicht unter, und der Tank ist voll.«
Wir verlassen in der Dämmerung die Stadt und fahren zunächst auf einer Autobahn in Richtung Westen. Routiniert wechselt Oshima von einer Spur auf die andere und manövriert seinen Mazda zwischen den anderen Wagen hindurch. Zügig schaltet er hin und her. Dabei verändert der Motor nur leicht seine Geräusche. Wenn Oshima in einem niedrigen Gang das Gaspedal bis zum Boden durchdrückt, schnellt der Tacho jäh auf 140 km/h.
»Er hat eine spezielle Einstellung und beschleunigt gut. Nicht wie die normalen Roadster bei uns. Verstehst du etwas von Autos?«
Ich schüttele den Kopf. Von Autos habe ich keine Ahnung.
»Sie fahren gern, Herr Oshima, oder?«
»Gefährliche Sportarten hat mir der Arzt verboten. Also fahre ich stattdessen Auto. Zum Kompensieren.«
»Sind Sie denn krank?«
»Meine Krankheit hat einen langen Namen. Im normalen Sprachgebrauch nennt man sie Bluterkrankheit«, sagt Oshima ungerührt.
»Weißt du, was das ist?«
»Ungefähr«, sage ich. »Wir haben das mal in Biologie durchgenommen. Wenn die Person anfängt zu bluten, hört es nicht mehr auf. Wegen bestimmter Gene gerinnt das Blut nicht.«
»Genau. Es gibt verschiedene Arten von Hämophilie. Meine kommt ziemlich selten vor. Sie beeinträchtigt mich nicht besonders, aber ich muss aufpassen, dass ich mich nicht verletze. Wenn ich blute, muss ich sofort ins Krankenhaus. Außerdem sind, wie du sicher weißt, die Blutkonserven, die sie in den Krankenhäusern auf der Welt haben, häufig problematisch. Aids zu kriegen und langsam zu sterben ist für mich keine Option. Deshalb habe ich wegen des Blutes in Takamatsu besondere Vorkehrungen getroffen. Aus diesem Grund mache ich auch keine Reisen. Abgesehen davon, dass ich manchmal in die Universitätsklinik nach Hiroshima fahre, verlasse ich die Stadt fast nie.
Aus Reisen und Sport mache ich mir sowieso nicht viel; das ist also nicht schlimm. Aber beim Kochen wird es ein bisschen schwierig. Es ist schon betrüblich, wenn man nicht bedenkenlos mit dem Messer hantieren kann.«
»Aber Autofahren ist doch auch ein gefährlicher Sport, oder?« sage ich.
»Die Art der Gefahr ist anders. Wenn ich fahre, fahre ich möglichst schnell. Wenn man bei hoher Geschwindigkeit einen Verkehrsunfall hat, bleibt es nicht bei einem Schnitt in den Finger. Und bei einer solchen Menge von Blut haben ein Bluter und ein Gesunder ungefähr die gleichen Überlebenschancen. Da braucht man sich über die Blutgerinnung keine Gedanken mehr zu machen und kann in aller Ruhe sorglos sterben.«
»Verstehe.«
Oshima lacht. »Keine Angst, so leicht passiert kein Unfall. Wie du siehst, bin ich ein sehr vorsichtiger Typ, der nicht zu Unüberlegtheiten neigt. Außerdem ist der Wagen in einem Topzustand. Und wenn ich sterbe, möchte ich allein und unbehelligt sterben.«
»Es zählt wohl nicht zu Ihren Optionen, jemanden in Ihren Tod zu verwickeln?«
»Ganz recht.«
Wir essen an einer Raststätte zu Abend. Ich nehme Hühnchen mit Salat, er ein Curry aus Meeresfrüchten, ebenfalls mit Salat. Das Essen ist nichts Besonderes, aber zumindest wird man satt. Oshima zahlt, und wir fahren weiter. Inzwischen ist es dunkel geworden. Wenn er beschleunigt, schnellt die Nadel des Tachos jedes Mal dynamisch nach oben.
»Stört es dich, wenn ich Musik anmache?«, fragt Oshima.
»Nein.«
Er schaltet den CD-Spieler ein. Ein klassisches Klavierstück ertönt. Ich lausche der Musik eine Weile und versuche sie zu erkennen. Es ist weder Beethoven noch Schumann, aber irgendetwas aus dieser Zeit.
»Ist das Schubert?«, frage ich.
»Ja«, sagt er. Die Hände auf zehn nach zehn auf dem Lenkrad, wirft er mir einen Blick zu. »Magst du Schubert?«
»Nicht besonders.«
Oshima nickt. »Beim Autofahren höre ich öfters Schubert-Sonaten in voller Lautstärke. Was meinst du wohl, warum?«
Ich weiß es nicht.
»Weil es das Schwierigste auf der Welt ist, die Sonaten von Franz Schubert vollkommen zu spielen. Besonders die in D-Dur ist enorm schwierig. Es gibt Pianisten, die ein oder zwei Sätze davon annähernd perfekt spielen, aber vier Sätze hintereinander kriegt,
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