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Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition)

Titel: Kafka: Die Jahre der Entscheidungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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auch dies nur, weil K. sich über sie beschwert hat. Die Henker schließlich erscheinen, da K. sie erwartet, und keine Stunde früher. Als {553} er »versuchsweise« körperlichen Widerstand leistet, gelingt es ihnen nicht, ihr Opfer von der Stelle zu bringen, und die Hinrichtung kann daher erst stattfinden, nachdem K. moralisch kapituliert hat. Das Gericht scheint nur zu reagieren, es fungiert als ein ungeheurer Spiegel, in dem sichtbar wird, was K. – entgegen seinen Beteuerungen – tatsächlich will. Und nur, weil er sich selbst nicht kennt (was vielleicht zu seiner Schuld gehört), tritt ihm sein eigenes Gesicht in diesem Spiegel als fremd und schreckerregend entgegen.
    Die Gerichtsinstanzen selbst machen aus ihrer Indifferenz gar keinen Hehl. Der vielleicht gewichtigste Satz des Romans, eine der wenigen authentischen Verlautbarungen jenes ebenso stoischen wie furchtbaren Gegners, steht am Ende des Kapitels ›Im Dom‹ und stammt aus dem Mund des Gefängniskaplans: »Das Gericht will nichts von Dir. Es nimmt Dich auf wenn Du kommst und es entlässt Dich wenn Du gehst.« Walter Benjamin hat diese verblüffende Mitteilung auf kongeniale Weise kommentiert: »Mit diesen letzten Worten, die K. erfährt, ist eigentlich ausgesprochen, dass sich das Gericht von jeder beliebigen Situation gar nicht unterscheide. Das gilt von jeder Situation, allerdings unter der einen Voraussetzung, daß man sie nicht durch K. sich entwickelnd sondern als ihm äußerlich und gleichsam auf ihn wartend auffasse.« [526]  
    Näher ist vielleicht noch kein Leser dem eisigen Kern des PROCESSES gekommen. Denn das hieße, dass Kafkas private Traumlogik eins ist mit dem Albtraum der Moderne: der gleichsam hinter dem Rücken jedes Einzelnen sich vollziehenden Enteignung seines Lebens. Jeder ist frei. Doch wofür auch immer er sich entscheidet: Er bleibt ein ›Fall‹, für den die passenden Regeln, Maßnahmen, Institutionen längst existieren, und noch seine spontanste, glücklichste Regung verbleibt innerhalb des geschlossenen Horizonts einer durch und durch verwalteten, verplanten Welt.

    Eine der gern zitierten Anekdoten über Kafka besagt, er habe, als er seinen Freunden aus dem ersten Kapitel des PROCESSES vorlas, derart lachen müssen, dass er »weilchenweise nicht weiterlesen konnte«, und auch seine Zuhörer hätten sich »ganz unbändig« amüsiert. Das sei doch »erstaunlich genug«, schreibt Brod rückblickend, »wenn man den fürchterlichen Ernst dieses Kapitels bedenkt. Aber es war so.« [527]  
    Nun ist Brod selbst gewiss nicht ganz unschuldig daran, dass der Streit über ›die letzten Dinge‹, die in Kafkas Romanen angeblich verhandelt werden, die komischen und parodistischen Züge so lange überschattete. Legt man neben den PROCESS etwa Julien Greens LEVIATHAN – auch dies ein Roman, der eine hermetisch geschlossene Hölle schildert –, so ist der Unterschied mit Händen zu greifen: Während Green dem Leser die schmerzlindernde Wirkung des Humors konsequent vorenthält und ihm damit keine andere Wahl lässt, als entweder Zeuge eines unabwendbaren Schicksals zu sein oder das Buch zuzuklappen, gibt es bei Kafka die Lust der distanzierten Beobachtung, ja der Schadenfreude. Bei Green sehen wir ein paar verzweifelt rudernde Menschen langsam untergehen. Bei Kafka verfolgen wir die Bahn eines fallenden Dachziegels, der einen Menschen auf den Kopf trifft, während dieser ein solches Ereignis soeben für höchst unwahrscheinlich erklärt.
    Es ist vor allem die Komik der Fehlhandlung, die sich überall aufdrängt und die dem Leser einen Fluchtweg eröffnet aus dem Kraftfeld des Verhängnisses; jene Komik, die immer dann aufscheint, wenn die Beweggründe eines Menschen vor aller Augen liegen, nur vor seinen eigenen nicht. Der Angeklagte findet es unerhört, dass Fremde in sein Zimmer eindringen, ohne sich vorzustellen; dann fällt ihm ein, dass er seine »Radfahrlegitimation« vorweisen oder eventuell auch sich umbringen könnte. Er diskutiert mit seiner Vermieterin über den Lebenswandel Fräulein Bürstners – und vergisst dabei, dass er sich beim gewohnten Besuch einer Prostituierten verspäten wird. Er sitzt im Taxi, stolz darauf, eine Vorladung zum Verhör ignoriert zu haben; da kommt ihm in den Sinn, er könne »aus Zerstreutheit« dem Fahrer dennoch die Adresse des Gerichts genannt haben.
    Furchtbar ist das Ganze, komisch sind die Details. Das gilt ebenso fürs Gericht, das immer dann, wenn für Augenblicke ein Lichtstrahl

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