Kains Erben
Tröstungen des Glaubens gern zuteilwerden. Wünscht Ihr, für Euren Verwalter eine Messe lesen zu lassen?«
»Ich wünsche, dass Ihr mir sagt, wo er ist!«, fuhr sie ihn an. Ihr Gesicht war weiß wie ihr Gebende, das sie so straff geschlungen trug, dass es ihr schwerfallen musste, zu sprechen. Sie war nicht hübsch, war es nie gewesen, aber das, was sie stattdessen war, hatte die Jahre überlebt.
»Und weshalb glaubt Ihr, ich könne das wissen?«
»Weil er hier war!«, rief sie triumphierend.
»Hat er Euch das gesagt?«
»Bewahre.« Sie schnaubte. »Seine Machenschaften mit Euch und den Euren hält er geheim, wenn er kann. Ich habe seinem kleinen Kammerherrn ein wenig zusetzen müssen, ehe er mit der Sprache herausrückte.«
»Ich verstehe.« Randulph rieb sich das Kinn. »Nun schön. Er war also hier. Tatsächlich tauchte er hier genauso aus allen Poren triefend auf wie Ihr.«
»Das ist kein Wunder bei dem Wetter«, versetzte Isabel. »Ich möchte an die Ernte, die uns blüht, nicht einmal denken.«
Wenigstens ein Empfinden, das wir teilen, dachte Randulph.
»Hat er Euch gesagt, was er vorhatte?« Mit einem Mal klang ihre Stimme klein. »Ich bitte Euch, verschweigt es mir nicht.«
»Und wenn ich es tue – setzt Ihr mir dann zu wie Adams Kammerherrn?«
Sie schoss auf ihn zu, hielt aber inne und ließ die Arme sinken. »Natürlich nicht«, murmelte sie. »Ich kann nicht mehr, Randulph. Ich muss wissen, was mit ihm ist.«
»Es wundert mich, dass ausgerechnet Ihr und Adam so sicher seid, dass ich Euch helfe. Vielleicht sollte er aufhören, Siegel von unseren Urkunden zu schneiden und uns um unser Recht zu betrügen, wenn er dergleichen erwartet. Und vielleicht solltet Ihr Euch fragen, warum Ihr ihm erlaubt, Verbrechen dieser Art in Eurem Namen zu begehen.«
In ihren schillernden Augen fingen sich Reflexe des sterbenden Feuers. Ihr Blick suchte seinen. »Wenn ich Euch darauf eine Antwort gebe – bekomme ich dann eine von Euch?«
»Glaubt Ihr wirklich, ich sollte mich auf einen solchen Handel einlassen?«, fragte er zurück. »Im Übrigen kann ich Euch Eure Antwort nicht geben. Adam war hier, das ist richtig, aber wo er jetzt ist, weiß ich so wenig wie Ihr.«
»Aber Ihr wisst vielleicht …« Sie brach ab.
»Was weiß ich?«
»Ob er in Gefahr ist.« Fast flüsterte sie. »Ob Cyprian seine Hände im Spiel hat.«
Auf einmal empfand Randulph das Mitleid, das sie von ihm verlangte. Nicht weil er als Zisterzienser dazu verpflichtet war, sondern weil er sie jäh als das sah, was sie war: eine Frau, die mehr verloren als gewonnen hatte, die sich an einen Mann ohne Skrupel klammerte, weil sie ohne ihn allein in der Welt stand. »Ich habe von Cyprian mindestens ebenso lange nichts gehört wie Ihr«, sagte er. »Über seine Absichten weiß ich nichts. Aber wenn es Euch beruhigt – dass er mit Adams Verschwinden zu tun hat, halte ich für unwahrscheinlich.« Das war alles, was er Isabel zu geben hatte. Was Adam plante, auf wen er es abgesehen hatte, durfte er ihr unter keinen Umständen sagen. Nicht um Adams willen. Sondern um das Geschöpf zu schützen, für dessen Schicksal er verantwortlich war. Wenn die Amsel heil ankam und ihren Platz fand, so begriff er, war die Buße, die er sich auferlegt hatte, nicht vergebens.
»Sprecht Ihr die Wahrheit? Und es gibt nichts, das Ihr mir verschweigt?« Mit beiden Händen packte sie das feste Gebende und riss es sich vom Kinn. Sichtlich erleichtert reckte sie den Hals, der unverkennbar gealtert war, aber immer noch elegant. »Mir ist nicht wohl, Randulph. Manchmal muss ich in meinen Zimmern alle Läden aufreißen, weil mir zumute ist, als zöge sich eine Schlinge zu und nähme mir die Luft. Ist das nur die Laune einer Frau, die mit den Jahren einfältig wird? Oder ist es der Instinkt eines Menschen, der das Leben kennt und spürt, dass eine Katastrophe naht?«
»Eure Erregung schadet Euch«, sagte Randulph. »Natürlich ist zu erwarten, dass wir für das Leben, das wir geführt haben, zur Rechenschaft gezogen werden. Aber auf Erden muss dies nicht geschehen, und ich nehme an, es ist das irdische Dasein, das Euch umtreibt, nicht die Sorge um die Abrechnung vor Eurem Schöpfer.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Nur, dass Ihr womöglich nichts zu fürchten habt.« Randulph verschwieg, dass er in Wahrheit fürchtete, dass andere auf Erden den Preis für das Leben bezahlten, das sie geführt hatten – Isabel, Adam, Cyprian, er selbst und wer immer noch. Aber das
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