Kains Erben
glücklich, und jetzt bin ich es auch.«
Wieder lächelte Hugh, diesmal lange und auch mit den Augen. Dann wurde er ernst, vollführte die Geste mit der Schwertscheide und zog mit einem Ruck das unsichtbare Schwert wieder heraus. Magdalene begriff zwar, dass er ihr etwas Wichtiges sagen wollte, aber sosehr er sich mit Zeichen und Mienen auch mühte, sie verstand ihn nicht. Da trat Tom, der bisher hinter der Theke vor sich hingedöst hatte, neben Hugh hin und legte einen halben Laib Brot auf den Tisch. »Hinterher esst ihr es zu Mittag«, sagte er. »Sonst bekomme ich Saures von meiner Frau.« Aus dem Inneren des frischen Brotes bohrte er Klumpen des noch feuchten Teigs und reihte sie vor Hugh auf. Aus einem Klumpen formte er mit seinen dicken Fingern etwas, das sich mit gutem Willen als Menschenfigur erkennen ließ. »Spiel ihr vor, was du ihr erzählen willst«, riet er. »So wie die Puppenspieler auf dem Wochenmarkt.« Damit drehte er sich um und überließ sie wieder sich selbst.
Kaum war Tom gegangen, begann Hugh aus den Klumpen Figuren zu formen. Er machte zunächst zwei große, die er dicht nebeneinanderstellte, und dann eine kleine, die er vor den beiden platzierte. Eine letzte Figur, nur wenig kleiner als die großen, formte er kniend und setzte sie an die Seite. Mit einem Finger wies er auf die kleine Figur und vollführte die Geste mit der Schwertscheide.
Magdalene glaubte sofort zu verstehen, was er meinte: »Das ist Herr Matthew, als er ein Kind war, richtig?«
Hugh nickte.
»Und das sind seine Eltern. Aber wer ist der Kniende? Ein Priester?«
Hugh schüttelte den Kopf, wies auf den Knienden und dann auf sich.
»Das bist du? Du und Herr Matthew und seine Eltern?«
Wieder schüttelte Hugh den Kopf, machte das Zeichen für Mutter und dann das für Tod.
»Herrn Matthews Mutter ist gestorben? Das ist sehr traurig. Ich hätte sie gern getroffen und ihr gesagt, wie stolz sie auf ihren Sohn sein kann. Wer sind dann aber diese beiden? Ist der eine sein Vater? Und der Zweite? Ich hab’s: Der Zweite ist der Onkel, von dem Dolasilla gesagt hat, er war genauso hübsch wie Herr Matthew!«
Statt zu nicken, tat Hugh etwas, das er noch nie getan hatte: Er strich ihr über den Arm und ließ seine Hand kurz auf der ihren ruhen. Seine Miene war nicht erfreut wie sonst, wenn sie etwas richtig erraten hatte, sondern tiefernst, und die Finger zitterten ihm wie früher vom Trinken. Noch einmal langte er in das Brot, holte einen Krumen heraus, dann knetete er einen spitzen Stab, den er der Figur in die Hand gab, die Matthews Vater darstellte. Blitzschnell drehte er die Figur um und stach mit dem Stab auf die des Onkels ein. Weil sich die Figur mit dem Brotteig nicht durchbohren ließ, hämmerte er mit der Faust auf den Onkel ein, bis nichts mehr davon übrig war als grauer, platt gedrückter Teig.
Es waren nur ein paar schlecht geformte Figuren aus Brotkrumen, aber Magdalene war so erschrocken, dass sie kein Wort herausbekam.
Hugh nahm die kleine Matthew-Figur und stieß sie um. Als Letztes griff er nach der knienden Figur, die ihn selbst darstellte, rollte den spitzen Stab zur Kugel und ließ die Vater-Figur der Hugh-Figur die Kugel auf den Kopf pressen. Zuletzt wies er auf seine leere Mundhöhle. Die ganze Vorführung wirkte komisch und unbeholfen, aber sie war nicht im Mindesten zum Lachen.
Magdalene begriff ohne Mühe, was sie bedeutete: Matthews Vater hatte Matthews Onkel getötet, und Matthew und Hugh hatten dabei zugesehen. Matthew war noch ein Kind gewesen und hatte das Bewusstsein verloren. Hugh hingegen hatte der Vater mit einer Art von Kugel die Zunge zerquetscht.
Sie stand von ihrem Schemel auf und setzte sich neben Hugh auf die Bank, legte den Arm um ihn und streichelte seinen Rücken. »Das ist so traurig«, sagte sie. »So tot-tot-traurig. Armer Hugh, armer Onkel, armer Matthew. Weißt du, wie froh ich bin, dass du mir nicht mehr erzählen kannst? Mehr könnte ich nämlich nicht aushalten. Du hast recht, Hugh: Herr Matthew muss überall krank sein, wenn er so etwas erlebt hat. Und du meinst, jetzt macht er es so, wie er es mir von den wilden Tieren erzählt hat – hockt ganz allein in einer Höhle und wird gesund oder stirbt?«
Hugh nickte.
»Und die Amsel auch? Die Amsel hat auch etwas so Böses erlebt?«
Er zuckte leicht mit der Schulter, an der ihr Kopf ruhte, bedeutete ihr aber durch seinen Gesichtsausdruck, dass er dieselbe Vermutung hegte.
»Das ist so traurig, Hugh, das ist nicht zum
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