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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Konvertitenhaus ziehen und meine Familie verlassen würde, an Chanukka in die Kathedrale gehen und im Gottesdienst eine Sprache hören, die nicht Hebräisch ist. Dass ich ein Fremder ohne Wurzeln, ohne Halt und Ordnung sein würde, aber nicht ohne Stolz, denn ein Mann ohne Stolz hat eine Frau wie dich nicht verdient.«
    Sie wollte ihm ins Wort fallen, ihm sagen, dass kein Mann auf der Welt sie so sehr verdiente wie er und dass sie keinen anderen wollte. Dass sie es sein würde, die ihrem Glauben abschwor, weil sie weder Wurzeln noch Halt und Familie besaß. Nichts und niemanden. Nur ihn.
    Er hob eine Hand und gebot ihr zu schweigen. »Es war wieder ein Mann im Geschäft«, sagte er. »Ein christlicher Ritter mit einem goldenen Drachen im Wappen, und diesmal hat nicht Gideon mit ihm gesprochen, sondern ich.« Vyves sah sie an und kniff die Augen zusammen, als lauere er auf etwas.
    Amicia wurde kalt. »Was wollte er?«
    »Dich sprechen. Er hat gesagt, er habe in der ganzen Stadt nach dir gesucht, und hier verliere sich deine Spur.«
    »Ich kenne ihn nicht!«, schrie sie.
    »Wirklich nicht? Ich glaube, wer diesen Mann einmal gesehen hat, vergisst ihn nicht. Er ist hochgewachsen, hat beneidenswerte Schultern und auffallend schwarze Augen zu hellem Haar. Unleugbar ein Bild von einem Mann, Amicia. Bist du sicher, du kennst ihn nicht?«
    Durch und durch ging ihr die Frage, durch und durch ging ihr sein stechender Ton. Ihr Herz raste. Ihre Knie wurden schwach.
    »Amicia!«, forderte er seine Antwort.
    »Doch«, flüsterte sie und ließ sich auf das Bett fallen. »Doch, ich kenne ihn.«
    »Woher?«
    »Er hat mich hergebracht. Randulph, der Abt von Quarr, hat ihn gebeten, mich in eine Abtei im Norden zu geleiten, wo es eine Zelle für Frauen geben soll.«
    Vyves nickte. »Dasselbe hat er auch gesagt. Und zuvor hast du ihn nie gesehen?«
    »Nein!«, schrie sie auf und krümmte sich. »Ich hab ihn zuvor nie gesehen, und ich will ihn nie wiedersehen. Schick ihn weg, Vyves! Schick ihn weg.«
    »Das habe ich getan. Ob er sich allerdings schicken lässt, bleibt fraglich. Im Gegensatz zu uns ist er bewaffnet, und er hat einen Höllenhund bei sich, den er besser nicht auf Noya oder Rebecca hetzt.«
    »Das tut er nicht!«, rief Amicia.
    »Was tut er nicht?«
    »Den Namenlosen auf Menschen hetzen.«
    »Aha.« Vyves seufzte, zog sich den Tallit von den Schultern und faltete ihn zusammen. Dann setzte er sich auf den Boden und lehnte den Rücken an die Wand. »Vielleicht solltest du erwägen, mir die Wahrheit zu sagen, ehe dein Amselherz vor Furcht zerspringt.«
    Amicia hatte genau dasselbe gedacht. »Darf ich zu dir?«, fragte sie kleinlaut.
    »Immer.«
    Mit einem Satz flog sie in seine Arme. Er hielt sie sachte, ohne Druck, an seiner Brust, und sie erzählte es ihm.
    Als Amicia fertig war, endlich alles aus sich herausgestoßen, geweint und geschrien hatte, hielt er sie lange und strich ihr über das klopfende Herz. Dass er sie nicht von sich stieß, kam ihr wie ein Wunder vor. »Du bist der feinste Mensch, der auf der Welt herumläuft, weißt du das?«, stotterte sie, noch immer außer Atem.
    Vyves lächelte. »Du weißt, dass es nicht das ist, was ein Mann hören möchte, nicht wahr?«
    »Vyves …«
    Er wiegte den Kopf. »Du schuldest mir nichts, Amicia. Und du hast nichts Böses getan. Das Versprechen, das wir uns damals gaben – wären die Mörder nicht gekommen, wir hätten es Jahre später vergessen, wie man eben Spiele vergisst, die man als Kind gespielt hat.«
    »Hättest du es vergessen?«
    Sie fand sein zärtliches, trauriges Lächeln, das Falten in seine Augenwinkel grub, unendlich schön. »Nein.«
    »Ich auch nicht, Vyves. Ich will ihn nicht wiedersehen, hörst du? Er hat dir doch geglaubt, dass du von mir nichts weißt?«
    Hilflos zuckte er mit den Schultern. »Ich fürchte, ich bin ein erbärmlich schlechter Lügner.«
    »Das warst du schon immer. Es war immer deine Schuld, wenn Isabel herausbekommen hat, dass wir auf der Außenmauer waren oder in der Speisekammer …« Sie stockte. Auf einmal war sie sicher, dass er auch jetzt log oder ihr zumindest etwas Entscheidendes verschwieg. »Du hast mir nicht alles gesagt«, platzte sie heraus.
    »Nein«, gab er zu. »Aber quäl weder dich noch mich damit, denn ich kann es dir nicht sagen.«
    »Du musst, Vyves! All diese Geheimnisse, diese Unerklärlichkeiten treiben mich in den Wahn. Ich halte es nicht länger aus.«
    »Wenn du ihn nicht mehr sehen willst, ist es ohne

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