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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Amicia fuhr herum. Der namenlose Hund setzte in so großen Sprüngen auf sie zu, dass der Schnee an seinen Flanken hochwirbelte und ihn in eine pulverige Wolke hüllte. Toll vor Freude sprang er an ihr hoch, stieß seine Pfoten gegen ihre Schultern und leckte ihr mit seiner rauen Zunge das Gesicht.
    Sein Gewicht war zu viel für sie. Sie verlor den Halt, wurde hintübergeworfen und stürzte gegen Matthews Brust. Er schloss die Arme um sie und begrub einen einzigen Augenblick lang sein Gesicht in ihrem Haar.

Vierter Teil
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    »Hiemis tempore suprascripto imprimis versu tertio dicendum: Domine, labia mea aperies et os meum adnuntiabit laudem tuam.«
    »Im Winter spreche man zuerst dreimal den Vers: Herr, öffne meine Lippen, und mein Mund soll dein Lob verkünden.«
    Benediktsregel, Kapitel 9.1

27
    V
ermutlich würde Randulph nie aufhören, die Karwoche zu fürchten. Die Brüder sahen dem Ende der Fastenzeit und den höchsten Festtagen des Jahres mit Freude entgegen, doch ihr Abt spürte, wie er sich tiefer und tiefer in sich selbst verkroch. Die Austernschale des Klosters genügte in diesen Tagen der Verwundbarkeit nicht; er wünschte sich eine Rüstung wie die, die er als kaum erwachsener Mann getragen hatte, geschmiedet aus etlichen Platten von undurchdringlichem Eisen.
    Es geschah nicht selten, dass sie in den Wochen vor Ostern einen Bruder verloren, der zu schwach war, um die lange Fastenzeit durchzuhalten, während Stürme die Bäume bogen und in den Zellen das Trinkwasser gefror. Selbst einen Mann von guter Konstitution kam es hart an, sich in tiefer Nacht aus dem Erschöpfungsschlaf zu reißen, wenn der Magen vor Hunger krampfte und die Finger vor Kälte keine Buchseite umschlagen wollten. Ein geschwächter, kränklicher Körper konnte an diesen Prüfungen zerbrechen. Sooft Randulph bemerkte, dass ein Bruder dem ihm Auferlegten nicht gewachsen war, hielt er ihn an, das Fasten zu brechen, erließ er ihm die Pflicht, der Vigil beizuwohnen, und stellte ihn von körperlicher Arbeit frei. Die zisterziensische Ordnung sah vor, ein Dasein in Härte gegen sich selbst zu führen, aber nicht Selbstzucht in Selbstzerstörung zu steigern und anstelle des Lebens den Tod zum Ziel zu wählen.
    Nicht immer aber ließen sich die Brüder zu Mäßigung bewegen. Randulph hätte jedem von ihnen befehlen können, sich ausreichend zu nähren und zu schonen, doch er fühlte sich dazu nicht befugt. Er konnte einen Bruder anweisen, Dienst in der Küche zu tun, in der Carta Caritatis zu lesen und seine Anstrengungen im Gebet zu verstärken, aber er vermochte keinem Mann vorzuschreiben, was für Kasteiungen er sich auferlegen sollte, um ein verfehltes Leben hinter sich zu lassen. Er selbst hatte es sich auch nicht vorschreiben lassen, nicht einmal während der Handvoll Jahre, ehe die Stellung seiner Familie ihm zur Wahl zum Abt verholfen hatte.
    Im ersten Jahr hatte sein Vorgänger ihn von allen Pflichten freigestellt, weil ihn am Abend vor Palmsonntag eine Krankheit befiel und er sich in Krämpfen und Fieberträumen krümmte. Randulph hatte sich dennoch in die Messe und im Hagelsturm durch die Prozession geschleppt, und es hatte sich angefühlt, als bräche jede Wunde in seinem Innern auf. Der Tod hatte ihm die Hände um den Hals geschlungen, und er war sicher gewesen, die Flammen der Hölle lodern zu sehen. Randulph war ihm entronnen und hatte gelernt, dass er keine Wahl hatte, als Jahr um Jahr dieselbe Hölle zu durchschreiten. Er war hergekommen, um entweder in Buße und Sühne einen Weg zum Leben zu finden oder zu sterben. Dennoch setzte es ihm zu, andere dasselbe tun zu sehen.
    In diesem Jahr war es Bruder Hamo gewesen, der jüngste Zugang der Schar, der sich in seinem Eifer nicht hatte bändigen lassen. »Ich habe den Orden der Zisterzienser gewählt, weil es mir ernst ist mit meiner Treue zu Gott«, hatte er Randulph mit schwacher Stimme und doch voll feuriger Entschlossenheit beteuert. Seine blauen Kinderaugen glänzten fiebrig im totenbleichen Gesicht.
    »Treue zu Gott bedeutet nicht Zerstörung des Leibes, den Gott dir geschenkt hat, damit du ihn als Werkzeug in Seinen Dienst stellst«, wies Randulph ihn streng zurecht. »Nach dem Tod zu streben hat mit Treue zu Gott nichts zu tun.«
    »Aber ich strebe ja nicht nach dem Tod!«, hauchte der junge Mann geschwächt und begeistert zugleich. »Gott wird mein Leben schützen und mich die Prüfung

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