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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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sobald Cyprian den Brief genommen hatte. »Ich hielt es für besser, Euch gleich zu unterrichten. Es liegen gewisse Irrtümer vor. Herr Matthew hat keineswegs das Geld des Königs unterschlagen oder den von Euch erteilten Befehl missachtet, sondern ist mit diesem Geld in London eingetroffen, als niemand mehr damit rechnete. Es gab Verwirrungen, die den walisischen Pflichten des Königs und einer Neuordnung der Verwaltung in London geschuldet sind, deshalb erreicht Euch die ersehnte Nachricht so spät. Herr Matthew hat sechs Wochen als Gefangener des Towers verbracht, ist jedoch von jeglicher Schuld an der Verzögerung freigesprochen worden.«
    »Von jeglicher Schuld?«, fuhr Cyprian auf.
    Der Bucklige nickte. »Er hat das Geld überbracht, sobald ihm seine Verletzungen die Reise erlaubten, und es war mehr, als irgendein Gesandter in den säumigen Gebieten aufbringen konnte. Der Exchequer ist erfreut. Herr Matthew hat den Winter über in der königlichen Stadtwache gedient und sich dabei Ehre erworben. Mithin, Mylord übersendet der König Euch nun dies.« Mit gekrümmtem Arm wies er auf den Brief in Cyprians Hand.
    Cyprian, dem das Blut im Schädel rauschte, brach das geliebte Siegel, faltete das Pergament auf und ließ den Blick über die Zeilen gleiten. Ein guter Leser war er nie gewesen, ein Mann seines Standes hatte solchen Firlefanz nicht nötig, doch zum Entziffern der Botschaft genügten seine Fähigkeiten allemal. Es war die Nachricht, auf die er all die Jahre vergeblich gehofft hatte: Der König lud ihn an den Hof ein. Nicht nach London, sondern nach Winchester, zu Feierlichkeiten, die dem neuen England galten. Der König begründete eine Tafelrunde für das edelste Blut seines Reiches, und er forderte das Geschlecht der Camoys auf, seinen Platz an dieser Tafel einzunehmen.
    Bis in die schmerzenden Spitzen der Lungen atmete Cyprian ein. War es zu spät? Die Nachricht erreichte ihn mit einer Verzögerung, die es ihm unmöglich machen würde, rechtzeitig zu den Festlichkeiten einzutreffen. Aber darum ging es ja nicht. Der Hof würde auf Wochen in Winchester bleiben, und nach dieser Feier würden andere kommen. Der Brief in seiner Hand war die Erhörung eines Gnadengesuchs. Die Erfüllung einer lebenslangen Sehnsucht.
    War es zu spät? Gab es keinen Weg, dem verdammten Sohn aufzuzwingen, wofür sein Vater die Hölle auf sich nahm?
    »Wo ist Matthew jetzt?«, rang er sich ab. »Und was ist mit dem Mädchen?«
    »Soweit wir wissen, hat er London verlassen. Das Mädchen hat er bei sich. Sie dürften uns auf genau den Wegen entgegenziehen, die unsere Leute ermittelt haben.«
    »Er reist also nicht nach Winchester?«
    »Davon ist uns nichts bekannt.«
    Cyprian überlegte blitzschnell. Dass der Sohn, den er gezeugt hatte, nichts taugte, hätte er wissen können, seit dieser Sohn auf der Welt war. Hatte er nicht alles versucht, um aus diesem Sohn einen Mann zu machen? Einen de Camoys aus einer Memme zu machen, die über dem Kadaver eines Habichtweibchens heulte? Aller Wahrscheinlichkeit nach zog dieser Verräter von einem Sohn nun mit Adam de Strattons Brut nach Norden – dagegen sprach nur, dass er ein einziges Mal einen Auftrag seines Vaters erfüllt hatte. Wenn er jetzt um dieser winzigen Hoffnung willen seine Pläne änderte, verlor er am Ende das Letzte, das ihm blieb: die Gelegenheit, Adam de Stratton auszuradieren. Dessen Geschlecht zu Staub zerschellen zu lassen, sodass kein Mensch der Zukunft mehr seinen Namen kannte.
    »Wir brechen morgen auf wie geplant«, sagte Cyprian zu Robert.
    »Sehr wohl, Mylord Baron. Und was Herrn Matthew betrifft …«
    »Was Herrn Matthew betrifft, überlasst gefälligst mir!«, schrie er. »Und jetzt trollt Euch! Vergewissert Euch, dass für morgen jedes Schwert geschliffen und jeder Pferdehuf beschlagen ist, und lasst mich schlafen. Ich kann mir bei dieser Sache keine Müdigkeit erlauben.«
    Unter Verneigungen zog sich der Bucklige zurück. Cyprian schloss erschöpft die Lider und ließ sich in die mit Rosshaar gestopften Kissen sinken. Gleich darauf schnellten seine Lider wieder hoch, und sein Blick traf das vernichtete Gesicht des Adam. Er würde gehen und diese offene Rechnung begleichen, wie immer sein verdorbener Sohn sich dazu stellte. Im Herzen war der Kerl nicht einmal sein Sohn! Nicht nur Gregory, sogar der kleine Randulph hatte mehr Einfluss auf diese Missgeburt einer zu schwachen Frau gehabt als er. War es nicht an der Zeit, den Strohhalm endlich fahren zu lassen?

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