Kains Erben
der Duft nach Blut und Tod die Füchse und Marder aus den umliegenden Wäldern lockte.
Das Tier, das unter dem Knüppel festgeklemmt zappelte, war aber weder Fuchs noch Marder, und vor allem war es nicht tot. Es war ein kleiner graubrauner Greifvogel, der wild mit dem verbleibenden Flügel flatterte und seine Todesangst in den Morgen schrie. Der andere Flügel war von dem niedersausenden Schlagstock zerquetscht worden. Es war ein grausiger Anblick, und Magdalenes Magen krampfte sich zusammen.
Mit zwei kraftvollen Griffen bog Herr Matthew das Scharnier der Falle zurück, zog das Tier unter dem Knüppel hervor und barg es in seinem Schoß. Der scharfe Schnabel hackte zu und fuhr ihm in den Ballen des Daumens. Er schien es nicht einmal zu spüren. Mit der blutenden Hand strich er dem Vogel über den Kopf. Der schlug noch zwei-, dreimal mit dem Flügel und verteilte weitere Schnabelhiebe, dann verließ ihn die Kraft. Auch das Geschrei verebbte und ging in eine Art Fiepen über.
Blut von seiner Hand und von den Wunden des Vogels strömte Herrn Matthew über die Knie. »Verdammte Schinder!«, stieß er heraus, und statt ihn wie sonst fürs Fluchen auszuschelten, legte die Amsel ihm die Hand auf den Arm. Ohnehin klang seine Stimme, als hätte er, statt zu fluchen, lieber geweint. »Das ganze Jahr über bekommst du einen Habicht nicht zu fassen, aber in der Balz, wenn er verletzlich und unaufmerksam ist, haben diese Verbrecher leichtes Spiel. Und obendrein sind sie noch zu dumm, um eine Falle zu bauen, die tötet, ohne zu foltern.«
»Kommt er durch?«, fragte die Amsel bange.
»Nein«, sagte Herr Matthew und wandte ihr sein nasses Gesicht zu. »Ich muss sie töten, Amicia, sie hat entsetzliche Schmerzen. Willst du ein Stück beiseitegehen?«
Sie streichelte ihm den Arm. »Ich will bei dir bleiben. Es ist ein Weibchen, ja?«
Er nickte. »Habichte binden sich fürs Leben. Irgendwo da draußen schreit jetzt ein Kerl nach seiner Liebsten und versteht die Welt nicht mehr.« Er rückte ein Stück von ihr ab, behielt das Habichtsweibchen im Schoß und zog sein Messer aus dem Gürtel. Mit einem schnellen, gezielten Hieb trennte er dem Vogel den Kopf vom Rumpf. Das Messer ließ er achtlos zu Boden gleiten, die zwei leblosen Teile des Tieres hingegen wiegte er in blutüberströmten Händen und streichelte sie voll hilfloser Zärtlichkeit.
Einige Augenblicke lang ließ die Amsel ihn gewähren, dann berührte sie wieder seinen Arm. »Leg sie jetzt hin«, sagte sie sacht. »Dass ihre Körpersäfte sich in deine mischen, könnte dir schaden.«
Matthew gehorchte anstandslos, bettete den Vogel in das silbern bereifte Gras. Die Amsel half ihm, pflückte rasch ein paar Halme und deckte den zerschmetterten Flügel damit zu. »Du hast einmal einen Habicht besessen?«, fragte sie.
Er nickte. »Sham.«
»Ist sie auch in eine Falle geraten?«
»Nein. Jemand hat sie getötet. Um mich zu bestrafen. Aber ein Tier hat doch an dem Unsinn, den ein Mensch tut, keine Schuld.« Ihm brach die Stimme. »Verzeih mir«, brachte er noch heraus, dann stand er auf.
Die Amsel stand ebenfalls auf und legte den Arm um ihn, als wolle sie den großen Mann mit ihrer kleinen Gestalt beschützen. »Was soll ich dir denn zu verzeihen haben? Dass du um ein völlig sinnlos zugrunde gerichtetes Stück Schöpfung trauerst? Du imponierst mir, Matthew. Gott weiß, wie sehr.«
Gebannt von den Ereignissen, hatte Magdalene den Aufgang der Sonne verpasst. Dass sie längst rot über den Hügeln am Horizont stand, bemerkte sie erst, als der Morgengesang eines Amselmännchens aus den Kronen der Baumgruppe brach. Es war der Singwart des Reviers, der seine erste Strophe in den neuen Tag schmetterte, und vielleicht sang er zugleich ein Totenlied für den geflügelten Gefährten. Kaum war die Strophe beendet, legte das Mädchen, das sie die Amsel nannten, den Kopf zurück und gab ihm Antwort. Ihr Lied war hell und voll quirliger Lebendigkeit wie seines, und doch enthielt es einen Ton Traurigkeit um ein Leben, das zu Ende war. Zwei, drei Strophen tauschten sie im Wechselgesang, dann verstummte der Vogel, und die Amsel verstummte auch.
Es war Kirchengesang, fand Magdalene. Ein Gebet, um Gott zu danken.
Herr Matthew zog die Amsel in die Arme und küsste sachte, beinahe ehrfürchtig, ihr Haar. »Du bist ein Wunder, mein Mädchen. Ich habe noch nie einen Menschen so singen hören.«
Die Amsel hob in seinen Armen den Kopf. »Du kannst es auch«, sagte sie und streichelte seine
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