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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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seinen Vater wie einen Fremden, und in den schwarzen Augen – Gregorys Augen – sah Cyprian Verachtung blitzen. Der Junge erfasste nicht, dass sein Vater die Tat für ihn begangen hatte, dass er die Hölle – die Strafe für Brudermord – auf sich geladen hatte, um ihm die Schande zu ersparen, in der er selbst hatte aufwachsen müssen.
    Der letzte Hieb hätte Cyprian kaum noch treffen dürfen. Dass der Sohn sich mit Adam de Stratton gemein machte, dass er die Brut des Ungeziefers vor Männern der eigenen Familia schützte, war im Grunde nur die Faust, die dem Fass den Boden ausschlug. Cyprian hatte sich geschworen, sich durch nichts mehr blenden zu lassen, sondern mit der Brut des Todfeindes ebenso ein Ende zu machen wie mit der eigenen. Nichts, auch kein Brief des Königs, würde ihn diesmal erweichen.
    Und dennoch war er in dieser Nacht von Neuem machtlos gegen den verdammten Funken Hoffnung. Sobald er die Augen zu schließen wagte, gaukelte seine Sehnsucht ihm Bilder von einem Sohn vor, der sich dieses eine Mal auf die Seite seines Vaters stellte. In der quälenden Schwebe zwischen Wachheit und Schlaf sah er ein blutiges Schlachtfeld, auf dem Adam de Strattons geschändete, gemordete Tochter lag, während er und sein Sohn Arm in Arm ihres Weges schritten. Und dann sah er sie beide nach Hampshire reiten, bis an die Küste des Solent, wo sie ein Fährboot besteigen und für ihren König die Insel holen wollten.
    Über den schönen, aber verbotenen Bildern schlief er irgendwann ein, und als das Hornsignal ihn aus dem Schlaf riss, fühlte er sich an Leib und Seele zerschlagen. Hinunter zum Sattelplatz ging nicht der unverwüstliche Baron de Camoys, der wie ein Jüngling dem Aufbruch entgegenfieberte. Hinunter zum Sattelplatz ging ein alter Mann, der dem, was ihm bevorstand, nicht gewachsen war.

32
    I
n der flirrend bunten, glitzernden Welt des Turniers fühlte Amicia sich unbehaglich. An die vielen Menschen, die in der Enge des Zeltdorfs rund um das königliche Schloss beieinanderlebten, konnte sie sich trotz der Monate in London nicht gewöhnen, und der Prunk des königlichen Hofstaats schüchterte sie ein. Weit mehr als das setzten ihr jedoch das ständige Geklirr der Waffen zu, das Blitzen blanker Klingen in der Sonne, die Schreie der Kämpfenden, die im Turniergang verletzt wurden, und das Blut, das überall verschmiert zu sein schien. Ritter und Damen unterhielten sich prächtig, und wie es aussah, lief alles in Festlaune und Wohlwollen ab, doch für Amicia weckten die Kampfszenen zu viele quälende Erinnerungen. Sie blieb dem Turnierplatz fern, und Matthew gab ihr nie auch nur mit einem Wort zu verstehen, dass er deswegen enttäuscht war.
    »Genügt es dir, wenn dich die anderen feiern?«, fragte sie ihn dennoch. Timothy, Hugh und Stephen ergingen sich unentwegt in Jubel, und auch Magdalene barst vor Stolz auf die Erfolge ihres Herrn, aber natürlich blieb Amicia nicht verborgen, dass die übrigen Ritter nicht von ihren Dienern, sondern von ihren Damen mit Lob überschüttet wurden.
    »Nein, das genügt mir nicht«, sagte er und gab sich Mühe, eine leidende Miene aufzusetzen. »Feiere mich, Amicia. Erzähl mir noch einmal, dass sich kein Mann auf der Welt so warm anfühlt wie ich.«
    »Ich finde, du bist auch ohne Schwert der tapferste Mann, der hier herumläuft«, sagte sie. Auf der ganzen Welt fühlte sich nichts und niemand so warm an wie ihr Liebster. Auf verworrensten Wegen hatte er ihr ein dem Anlass entsprechendes Kleid beschafft, doch es schien ihn nicht im Mindesten zu kratzen, dass sie es nicht trug und lieber im Zelt blieb.
    »Das ist gut«, erwiderte er. »Denn mit dem Schwert bin ich ziemlich steif und aus der Übung.«
    Sie liebte ihn wie verrückt und hasste die Blechplatten der Rüstung, die sie hinderten, ihn so fest an sich zu drücken, dass sie Haut und Fleisch und Knochen spürte. Wenn ihm Stephen des Nachts aus all dem Metall und dem Leder half, stank er wie ein Widder in der Brunst. Amicia musste über seine Verlegenheit lachen, sie schickte Stephen schlafen und ging mit ihm in die Verborgenheit des Waldes, damit er sich in einem Bachlauf waschen konnte.
    »Weißt du, wie entsetzlich kalt dieses Wasser ist?«, beklagte er sich.
    »Das hilft nichts«, erwiderte sie. »Wenn ich dich in diesem Zustand mit in mein sauberes Zelt nehme, werde ich ohnmächtig, und das wäre kaum in deinem Sinn.«
    Weil sie ihn bei sich hatte, gelang es ihr trotz allem, den Tagen in Winchester etwas

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