Kains Erben
abzugewinnen und manches zu genießen. Seinen zärtlichen Übermut genoss sie. Sosehr ihr das blutige Spiel des Turniers missfiel – Matthew bekam es offenbar prächtig, sich auszutoben und die eigene Stärke zu spüren. Amicia genoss die schmachtenden Blicke, mit denen die Damen des Hofes ihn taxierten, seine kraftvollen Schultern, die hohen Hinterbacken und die schlanken Hüften umfingen, ohne etwas davon besitzen zu dürfen. Und mit verstohlenem Lachen genoss sie Matthews Blicke, die sich an den Formen eines edlen Pferdes weideten, ohne die Begehrlichkeit der Schönen zu bemerken.
»Du bist eine Seltenheit«, erklärte sie ihm, während sie ihm das verfilzte Haar auskämmte. »Ein schöner Mann ohne jede Eitelkeit.«
Er drehte sich blitzschnell um, warf den Kamm weg und riss sie in seine Arme. »Und was ist mit dir, Mistress? Soweit ich weiß, besitzt du nicht einmal einen Spiegel, und statt gnadenlos mir die Haare auszureißen, könntest du es ja auch bei deinen eigenen tun.«
Sie mussten beide lachen, nicht nur weil sie sich komisch fanden, sondern auch weil sie einander ständig verblüfften. Es war, als hätte ihr Schöpfer sie füreinander erdacht: ein Mädchen, das es nicht geben durfte, und einen Mann, den man nach dem, was er war, nicht fragen durfte, zwei in die Welt Geworfene, die von kaum einem Spiel, das ihre Artgenossen spielten, die Regeln kannten, aber miteinander die Liebe entdeckten und dabei sich selbst.
»Findest du mich schön?«, fragte sie ihn und kam sich albern und erregt zugleich vor.
»Nein«, sagte er. »Ich finde, dass die Schönheit Amicia heißen sollte, weil ihr Name zu klein für dich ist.«
»Oho!«, rief sie und warf ihn, solange er in Träumen gefangen war, hintüber, »Ihr könnt ja säuseln, Mylord – wer hätte einem Waldschrat wie Euch das zugetraut?«
»Ich nicht«, gestand er. »Ich traue es mir noch immer nicht zu, weshalb ich besser gleich wieder damit aufhöre.«
»Augenblick!«, rief sie und schob ihre Hand vor seine Lippen, ehe sie die ihren erreichten. »Ich habe aber jetzt entdeckt, dass es mir gefällt, wenn mir ein schöner Mann Komplimente macht. Ich will mehr davon!«
»Deinen schönen Männern drehe ich die Hälse um!«, schwor er, »Komplimente mache nur ich dir, und ich kann es ohne Worte besser.« Mit einer Kraft, der sie nichts entgegenzusetzen hatte, schob er ihre Hand aus dem Weg und nahm sich den Kuss, den sie ihm verweigert hatte.
In dieser Nacht dachte Amicia, ehe sie einschlief: Wenn ich eine Tochter von ihm habe, dann lehre ich sie, dass Liebe Vergnügen macht. Ich werde zu meiner Tochter sagen: »Lass keinen Mann dir nahekommen, an dem du nicht deine Freude hast, wenn er dich liebt.«
Sie fand, das sei bei Weitem der seltsamste Gedanke, der ihr je gekommen war, aber sie wollte ihn nicht mehr loslassen. Die Vorstellung, sie, die sie nie eine Tochter gewesen war und keine Mutter gehabt hatte, könnte Mutter einer Tochter sein, war köstlich, und sich auszumalen, wie ein Mädchen mit Matthews klaren, gemeißelten Zügen und seinem goldbraunen Haar aussehen mochte, war es ebenfalls.
Er gewann drei Preisgelder, die ihnen für den Rest der Reise genügen würden. Zu weiteren Waffengängen verweigerte er die Meldung, sosehr Timothy und Stephen ihn auch dazu drängten. Auch darin stimmten er und Amicia überein: Ihnen fehlte der weltliche Ehrgeiz so sehr wie die Eitelkeit. Die Behauptung, er wolle mit seinem König auf einen Kreuzzug gehen, und all sein anderes Geprahle vom König schienen Amicia weniger denn je zu ihm zu passen. Den so viel zitierten König bekam sie einmal von Weitem zu Gesicht; er war ein sehr großer Mann mit grauen Locken, der offensichtlich wusste, wie man einen Mantel trug. Dass sich rings um ihn Männer und Frauen in Ehrfurcht ergingen, war nicht zu übersehen, aber Matthew gehörte nicht zu ihnen. Im Gegenteil. Amicia fürchtete, er habe den König nicht einmal bemerkt. Ein Gelege Wildenten nötigte ihm mehr Ehrfurcht ab und der Sturzflug eines Bussards mehr Begeisterung.
Wenn er eingeschlafen war, betete Amicia, dass Gott ihrem Liebsten die Gedanken an den Kreuzzug nehmen würde. Sie wollte keine Gefahren, keine Trennung und keine Einsamkeit mehr. Sie wollte Frieden mit Matthew. Irgendwo in einem Haus, das so klein sein durfte wie ihre Hütte in Quarr. Dem Gemunkel nach häufte Gott seine Gnade über sie und erhörte selbst dieses Gebet – irgendein König in Frankreich bedrohte irgendeinen König in Aragon, und
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