Kains Erben
ihm mitgeteilt hatte, es werde demnächst ein Novize von seiner Mutter gebracht, den er persönlich in Empfang nehmen wolle, hatte er auch dazu lediglich die Geste seiner Ehrerbietung vollzogen.
Das Wunder, um das Randulph und Margaret, durch Meilen getrennt, gebetet hatten, war eingetroffen: Bruder Benedict, der noch immer Dienst im Torhaus versah, kam eines Abends in den Kreuzgang, um den Novizenmeister zu holen, weil eine Mutter ihren Sohn verabschieden wolle. Wie vereinbart verständigte Bruder Alban seinen Abt. Sofort wusste Randulph: Amicia, die Amsel, ist mit ihrem Begleiter unbehelligt eingetroffen. Ehe er ging, um sie zu empfangen, stahl er sich Zeit für ein geradezu triumphales Dankgebet.
Danach tat er, was er niemals hätte tun dürfen und doch ohne Reue und Bedenken vollzog: Er öffnete die Tore seines Klosters für einen Juden und eine Frau, geleitete beide ins Gästehaus, wo sie sich ausruhen konnten, und sandte den Boten, der seit Tagen bereitstand, nach Carisbrooke.
Am folgenden Morgen kam ein Pferdehändler nach Quarr, der vier der kleinen schwarzen Stuten kaufte und zwei Laien verlangte, die sie ihm an ihren Bestimmungsort brachten. Die beiden Laien waren Amicia und ihr Begleiter. Der junge Mann tat Randulph leid. Er konnte nicht einmal reiten.
Die Amsel ziehen zu lassen, ohne zu wissen, wie sie mit dem zurechtkommen würde, was sie erwartete, kam Randulph hart an, aber er wusste, dass ihm jetzt nichts weiter zu tun blieb, als zu beten und zu vertrauen. Sie war ein feines Mädchen. Sein feines Mädchen. Sie war stark, hatte einen Edelstein von einem Freund bei sich, und Gott würde ihr Seinen Segen nicht vorenthalten.
Nach dem Komplet zog Randulph sich in seine Zelle zurück, wo er vor dem Schlafen Briefe abzufassen hatte. Kurz darauf hörte er Bruder Benedict, der vom Torhaus heraufkam. Sein Nackenhaar stellte sich auf. War ein Bote aus Carisbrooke gekommen, brachte er schlechte Nachricht?
Bruder Benedict aber schlug nicht den Weg zu seiner Zelle, sondern den zur Nachttreppe der Ordensbrüder ein. Kurz darauf erschien er mit Bruder Alban im Schlepp wieder im Innenhof.
Erleichtert atmete Randulph auf. Also war so spät noch ein Mann eingetroffen, der um Aufnahme in die Abtei bitten wollte. Gott segne ihn und stärke ihn in seiner Entscheidung. Flüchtig erlaubte er sich, die Augen zu schließen – eine Gefahr, wie jeder Zisterzienser wusste. Der übermüdete Geist entflog nur allzu rasch in den Schlaf, weshalb sich viele Brüder beim Lesen Pfefferkörner zwischen die Zähne steckten, damit der beißende Geschmack sie wachhielt.
Randulph hingegen riss das Klopfen an der Tür aus dem Dämmer. Auf sein verlegenes »Herein« erschien der Kopf Bruder Albans im Spalt. Der Novizenmeister vollzog eine Geste der Ehrerbietung und wollte beginnen, sein Anliegen in Zeichen vorzutragen, denn nach dem Komplet galt das Schweigegebot mit äußerster Strenge, damit die Gemeinschaft in ihre Ruhe fand. Randulph aber beschied ihn zu sprechen.
»Vergebung, Ehrwürdiger Vater«, sagte der Bruder. »Ich habe einen Mann im Novizenzimmer, der geradezu inständig darum bittet, Euch eine Frage stellen zu dürfen.«
Randulph lächelte schwach und hievte sich vom Schemel. »Macht das jetzt Schule? Vielleicht sollten wir beide dann die Ämter tauschen.«
Flüchtig erwiderte der Novizenmeister das Lächeln. »Ich habe erwogen, es ihm abzuschlagen, aber die Sache scheint dringend zu sein.«
»Wenn es Euch so erscheint, dann ist sie dringlich«, sagte Randulph, der bereits auf dem Weg war. »Haltet Euch bereit, Alban. Der dringliche Herr wird Euch später sicherlich noch benötigen. Hat er Gefolge?«
»Nur einen Mann.«
»Dann sorgt in der Zwischenzeit dafür, dass der sich erfrischen kann.«
Das Novizenzimmer besaß kein Fenster. Das einzige Licht kam von Albans Talglicht, das er in einen Halter an der Wand geschoben hatte. Daneben stand der Mann. Sobald Randulph den Raum betrat, fiel er auf die Knie, dass sein Tabard sich über den Boden ausbreitete. »Gott zum Gruß, Ehrwürdiger Vater.«
Randulphs Herz vollzog einen Satz. Es fiel ihm nicht leicht, sich zur Ruhe zu zwingen, zur Bank an der hinteren Wand zu gehen und sich niederzusetzen. »Ist es der, den du aufsuchst? Der Ehrwürdige Vater?«
Der Mann senkte den Kopf noch tiefer. »Nein. Verzeiht. Oder doch.«
»Also was nun?«
Er blickte auf.
Randulphs Herz vollzog einen weiteren Satz. Ein wenig hatte er sich gefürchtet, das Gesicht des Mannes zu sehen,
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