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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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aus. »Das erste Mal war ich mir nicht sicher. Das zweite Mal, und nachdem ich seinen Namen wusste, ja.«
    Es traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. »Und du hast mich mit ihm gehen lassen? Du hast mich nicht einmal gewarnt?«
    Noch immer wich er ihr nicht aus, sondern sah sie mit seinen klaren Augen unverwandt an. »Glaubst du jetzt, dass auch ich dich verraten habe? Dass mir gleichgültig war, was mit dir geschieht? Kannst du mich kennen, Amicia, und das auch nur einen Herzschlag lang glauben? Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, und ich kann dir nicht sagen, wie oft ich mich dafür verurteilt habe. Aber ich habe dich nicht verraten. Ich habe diesen Mann mit dir gesehen und war sicher, er würde lieber sein Seelenheil verlieren, als dir ein Leid anzutun.«
    »So einer hat in seiner Seele kein Heil!«, schrie Amicia. »Du hast ihn doch gesehen, damals, im Brunnenhof!«
    »Nein«, sagte Vyves. »Ich habe nicht gesehen, wer Abel in den Brunnen stieß. Ich war ohnmächtig und weiß es nur, weil Gräfin Isabel es mir ins Gesicht geworfen hat: ›Die Verbrecher haben Aveline geholt und Abel und Amicia in den Brunnen gestoßen.‹ Gesehen habe ich einen Jungen wie mich, der stockstarr zwischen zwei Reitern stand. Als ich ihn wiedertraf, all die Jahre später, sah ich einen Mann, der vor Angst um dich von Sinnen war. Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht, und vermutlich gehöre ich dafür bestraft. Aber ich hätte dich nie mit ihm gehen lassen, wenn ich nur im Mindesten für möglich gehalten hätte, dass er sich an dir vergreift. Und ich habe dich gebeten: ›Wenn du mit ihm gehst, frag ihn.‹«
    Zitternd holte Amicia Atem. Dann streckte sie die Arme aus und zog ihn an sich. »Nein, Vyves, du gehörst nicht bestraft, du als Letzter auf der Welt. Den Fehler, den du begangen hast, hat Randulph auch begangen, und ich weiß, dass keiner von euch mir Böses wollte. Allein ich bin daran schuld, dass ich nie gefragt habe. Verurteile dich nicht mehr, ich bitte dich. Und mich zwing nie wieder, an diesen Mann zu denken.«
    »Wenn es das ist, was du willst, dann halten wir es so«, sagte er, doch der giftige Samen war gesät. Amicia konnte ihre Gedanken nicht hindern, in einer endlosen Spirale um den verbotenen Gegenstand zu kreisen.
    Kurz darauf, als sie bereits in der neuen Verkleidung steckten und jeden Augenblick die Küste des Solent erreichen sollten, erhob sich das Dunkel mit nie geahnter Kraft. Amicia war zu Vyves auf den Karren geklettert und hatte ihm den Brief gegeben, den sie Zeile für Zeile zusammengestoppelt und all die Jahre aufgehoben hatte. Sie wollte, dass er wusste, wie sehr er ihr gefehlt und wie innig sie sich gewünscht hatte, sie werde irgendwann fähig sein, sich für ihn zu entscheiden und zu ihm zurückzukehren.
    Er las den Brief, der auf dem kostbaren Vellum nicht verblichen war, bis zum Ende, dann sandte er ihr sein trauriges Lächeln, das sie so liebte. »Danke, meine Amsel. Der Wunsch hat sich nie erfüllt, nicht wahr?«
    »Oh Vyves!« Sie schloss die Arme um ihn, faltete die Hände fest in seinem Rücken. »Ich wünsche es mir heute noch mehr als damals. Aber in mir ist alles wie ein Haufen winzig kleiner Scherben, an den ich nicht rühren darf, wenn ich mich nicht blutig reißen will. Vielleicht kann ich nicht mehr lieben, Vyves.«
    Sein Lächeln wurde noch trauriger. »Wenn ich eine Frau nennen müsste, die nicht lieben kann, wärst du die Letzte, die mir einfiele. Und das, wo du mein Leben lang die Erste bist.«
    »Aber Margaret hat es auch gesagt! Ich kann so, wie ich bin, nicht einmal Gott lieben.«
    »Um Gott würde ich mir an deiner Stelle keine Sorgen machen«, erwiderte Vyves. »Der liebt dich geduldig und hat eine Ewigkeit lang Zeit, auf deine Liebe zu warten.«
    Mit einem Mal dachte Amicia an die Handschrift, die die Priorin ihr am Tag ihres Todes übergeben hatte. Eine schier abergläubische Furcht hatte sie bisher abgehalten, das Pergament aufzurollen. Jetzt aber, zusammen mit Vyves, wollte Amicia es tun. »Der Mann, den sie geliebt hat, hat es ihr geschenkt«, erzählte sie ihm. »Seine Mutter stammte aus einem der italienischen Reiche, sein Bruder hat Italien bereist und diesen Text von dort mitgebracht. Er fand ihn so schön, dass er ihn ihr als Liebesgabe schenken wollte. Sie sollte ihn immer bei sich tragen, und sie hat es immer getan.« Randulph, dachte sie, während sie das Pergament öffnete. Auf diesem Papier stand, was Randulph seiner Liebsten vor einem Menschenleben

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