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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Größeres bevor, denn die Amsel bestand darauf, dass sie und Hugh mit ihr zur Mette gingen. Alle Versuche Magdalenes, ihr zu erklären, dass eine wie sie in keinem Gotteshaus geduldet war, schlugen fehl.
    »Du lebst in meinem Haushalt, und mein Haushalt geht in der Christnacht in die Mette, einerlei ob wir eine Sammlung von Ausgestoßenen oder eine Schar von Wohlgeborenen sind. Das Sanktuarium dürfen nur die Chormönche betreten, doch in der Kapelle ist für jeden Raum.«
    Zu Sir Matthew, der noch immer nicht aufstehen konnte, kam einer der Ordenspriester, um ihm das Sakrament zu spenden. Magdalene aber, die Verfemte, kniete neben der Amsel in der Fremdenkapelle auf den Steinplatten und erhielt den Leib des Herrn auf ihre Zunge. Jetzt bin ich wahrhaftig zu Hause, dachte sie, und ein Gefühl von Heiligkeit erfüllte ihren ganzen Leib. Nirgendwo war sie je so sehr als Mensch unter Menschen angenommen worden.
    Hinterher gingen sie den verschneiten Weg hinunter zu ihrem Haus, unter dessen Dach die Eiszapfen glitzerten. Sie setzten sich vor dem Feuer zu Tisch und tranken zum Essen warmes Ale mit Honig und Nelken aus einem kupfernen Kessel. Der Namenlose, dem die Amsel erlaubte, bei Tisch zu liegen, bekam einen Schinkenknochen. So war der Einzige, dem es in dieser Nacht nicht wohlerging, Magdalenes Herr Matthew, der im dunklen Winkel auf der Bettstatt lag und grimmig vor sich hinstarrte. Irgendwann ertrug Magdalene es nicht mehr. »Was habt Ihr nur, Mylord, was ist Euch?«, rief sie zu ihm hinüber.
    Er sandte ihr einen vernichtenden Blick. »Wie dumm muss eine sein, um solche Fragen zu stellen? Glaubst du, es ist ein Vergnügen, wie ein altes Weib im Bett zu liegen und nicht Herr über den eigenen Leib zu sein?«
    Mitleid überwältigte sie. Ehe sie aber etwas sagen konnte, sprang die Amsel auf. »Schweigt!«, gebot sie ihm. »Wenn Gott Euch mit dieser Schwäche geschlagen hat, dann womöglich, um Euch Demut zu lehren. Habt Ihr eigentlich je erwogen, dankbar zu sein? Jeder andere an Eurer Stelle wäre gestorben, Ihr aber habt nicht einmal Euer Auge verloren, sondern blickt noch genauso hochmütig drein wie zuvor.«
    »Nicht doch!«, rief Magdalene flehend. »Du tust ihm weh!«
    »Das hat er verdient«, verwies die Amsel sie und setzte sich wieder.
    Sir Matthew sah ein wenig aus wie ein Raubtier, das sich noch tiefer in seine Höhle zurückzog, die Sehnen jedoch zum Sprung spannte und seinen Widersacher mit hasserfüllten Augen musterte.
    »Mylord, die Amsel wollte doch nicht …«, begann Magdalene.
    »Du misch dich nicht ein!«, fuhr er sie an, und die Amsel sandte ihr einen Blick, als wollte sie sagen: Siehst du?
    Magdalene, die das Fest bisher so genossen hatte, mochte nichts mehr essen. Sie hätte froh sein können, weil die Amsel und Sir Matthew stritten und ihr der Stachel der Eifersucht erspart blieb, doch stattdessen war sie tief betrübt, weil sie sah, wie sich beide quälten.
    Das neue Jahr brach an. Eines Morgens war die Amsel nicht im Haus, und Magdalene lief von einer Eingebung getrieben hinaus, um sie zu suchen. Es schneite heftiger und war kälter als an den Tagen zuvor. Sie fand die Amsel an der Mauer, am Tor der Abtei. Dort stand sie und war mit dem hochgewachsenen Mönch, über den Timothy Magdalene erklärt hatte, er sei so etwas wie der Vater der übrigen Mönche, ins Gespräch vertieft. Der Schnee dämpfte Magdalenes Schritte, und das Pfeifen des Windes übertönte, was immer sie sonst für Geräusche verursachte. Die beiden aber waren ohnehin so erhitzt und mit sich selbst beschäftigt, dass sie nichts um sich herum bemerkten.
    »Ich habe dich nur gebeten, in deinem Haus zu bleiben, dich so wenig wie möglich draußen zu zeigen und nicht mit Fremden zu sprechen!«, donnerte der große Mönch auf die Amsel hinunter. »Ist das wahrhaftig zu viel verlangt?«
    Jede andere hätte die zornige Rede eingeschüchtert, doch die Amsel hob trotzig den Kopf. »Wenn Ihr mir nicht sagen könnt, weshalb ich mich verstecken muss, ist alles zu viel verlangt.«
    Für solche Unverfrorenheit hätte der Mönch sie schlagen können, und vermutlich war es allein ihre Würde, die ihn abhielt. Als habe ihn der Streit erschöpft, stützte er sich an der Mauer ab. »Glaubst du, es ist bekömmlich, von allem und jedem den Grund zu kennen? Ich habe nichts anderes im Sinn, als dich und Matthew de Camoys vor Unheil zu schützen.«
    Als sie dies vernahm, flog Magdalenes Herz dem fremden Mönch zu. Die Amsel und er stritten noch

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