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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Blindlings stolperte sie voran, bemerkte zu spät, dass sie sich zur falschen Seite geschlagen hatte, und lief dennoch weiter, weil sie glaubte, vor sich einen Lichtschein zu erkennen. Magdalene schöpfte Hoffnung. Wo immer sie aus dem Wald ins Freie gelangte, würde sie das Kloster finden. In ihrer Hütte würde ein Feuer brennen, es würde nach Holunderwein duften, und ihre Familie würde mit ihr schimpfen, weil sie nicht besser aufgepasst hatte.
    Der Gedanke an Wärme trieb sie vorwärts, obgleich die Böen ihr schmerzhaft ins Gesicht peitschten. Tatsächlich kam der fahle Lichtschein näher, der Saum des Waldes war beinahe greifbar. Gleich hätte sie es geschafft, nur noch ein paar beherzte Sprünge, dann wäre sie befreit! Als ihr Fuß im Aufsetzen den Halt verlor, ließ der Schrecken sie die Arme in die Höhe reißen und schreien. Unter ihr brach der Boden ein, und wie gezogen stürzte sie in die Tiefe und prallte auf der Seite auf.
    Mühsam fand sie zu sich und erkannte, was ihr geschehen war: Sie lag in einer der Fallgruben, mit denen Wilderer dem Kloster das Wild stahlen. Unter dem Schnee war die Grube vermutlich vergessen worden, wodurch ihr kein Mensch zu Hilfe kommen würde. Verzweiflung packte sie. Kopflos versuchte sie, sich in die Wände der Grube zu krallen und in die Höhe zu ziehen, doch die gefrorene Erde bot ihren Fingern keinen Halt, und sie rutschte sofort wieder ab.
    Verzweifelt kauerte Magdalene sich in eine Ecke, umklammerte ihre Knie und versteckte das Gesicht. Sie würde hier unten sterben. Sie, die die Wärme so sehr geliebt hatte, würde langsam zu Tode frieren, und ihren Herrn Matthew würde sie nie mehr wiedersehen.
    »Sieh einer an. In unserer Falle scheint sich was verfangen zu haben.« Magdalenes Erleichterung wandelte sich in Schrecken, sobald sie die Stimme erkannte. Sie gehörte dem schnauzbärtigen Ritter, der versucht hatte, sie auszuhorchen. Er trug eine Fackel, die im Schneesturm kümmerlich brannte, und grinste in die Tiefe. »Wie possierlich. Keine Ricke wäre zarter. Aber sag mal, kennen wir uns nicht?« Das Tosen des Windes verzerrte die Worte.
    Magdalene wusste nicht mehr, ob sie vor Angst oder vor Kälte zitterte. War der Mann während all der Monate hier gewesen? Hatte er im Verborgenen auf der Lauer gelegen? Etwas schoss auf Magdalene zu und traf sie am Kopf. Das verknotete Ende eines Seils.
    »Na komm schon, greif zu. Wir ziehen dich hoch.«
    Hinter dem Gesicht des Mannes erschien ein zweiter, der ihm half. Kaum tauchte Magdalenes Kopf aus der Grube auf, fühlte sie sich grob an den Schultern gepackt und auf die Füße gezerrt. Fünf Männer umringten sie, alle in halber oder voller Rüstung.
    »Na dann wollen wir mal.« Der Bärtige stieß sie in den Rücken, sodass sie nicht anders konnte, als voranzustolpern.
    Bald erreichten sie ein Zelt, das die Männer am Waldessaum aufgeschlagen hatten; es leuchtete gelb und königsblau in der Düsternis. Die Pferde der Männer standen daneben angepflockt, die gekrümmten Rücken dem Wind zugewandt.
    Herr Matthew würde Althaimenes nie so frieren lassen, durchfuhr es Magdalene. Im Zelt war es kaum wärmer als draußen und kein bisschen heller. Vage erkannte sie Felle, die zum Schlafen auf dem Boden lagen, einen abgelegten Helm, ein wenig Gepäck.
    Der Bärtige stieß sie nieder, wie man einen Sack umwirft. »Ich glaube, diesmal dürfen wir hoffen, von dir ein paar Auskünfte zu ergattern, was?« Er zog ein Messer, mit dem er sich die Fingernägel säuberte. »Ich könnte dir die Ohren abschneiden, um deinem Mundwerk aufzuhelfen. Aber vielleicht ist so viel Aufwand ja nicht nötig?«
    Magdalene presste die Lippen aufeinander. Sie würde nichts sagen, was immer auch mit ihr geschah.
    »Habe ich mich nicht deutlich ausgedrückt? Wir wollen hören, was du über diesen Ritter weißt, den wir suchen. Und über das Mädchen, das sich die scheinheiligen Brüder in ihrem Tempel der Frömmigkeit herangezogen haben. Spuck’s aus, Kleine! Wir haben gehofft, in der Grube eine Abendmahlzeit vorzufinden. Es wäre doch schade, wenn wir dich zum Ersatz nehmen müssten.«
    Einer der Männer lachte. Ein anderer sprang unvermittelt vor und drosch Magdalene die Faust ins Gesicht. »Wird’s bald, Kröte? Meinst du, wir schlagen uns hier zum Vergnügen die Wochen um die Ohren?«
    Ein Wimmern entfuhr ihr, dann traf sie der zweite Schlag. Etwas in ihrem Mund krachte, scharfer Schmerz durchzuckte ihren Kiefer, und sie schmeckte Blut. In einem roten

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