Kains Erben
Magdalene zu, wie der Hengst sich bäumte und dann einem Sturm gleich auf die kleineren Pferdchen niederging, sich in das Fell auf ihrem Widerrist verbiss und ihnen mit Wucht sein Geschlecht in den Leib stieß.
»Ich hoffe, es erschreckt dich nicht, so etwas zu sehen«, hatte Timothy gesagt.
Magdalene hatte lachen müssen. »Warum soll mich bei großen Tieren erschrecken, was der Lauf der Welt ist? Es erschreckt mich ja auch bei kleinen Männchen nicht.«
Seither war sie bisweilen mit Timothy in dessen Hütte gegangen und hatte ihm eine Stunde lang Glück geschenkt. Er dürfe von der Liebe nichts wissen, erzählte er ihr. Sein Vater habe ihn dem Kloster gebracht, als er ein Knabe von zwölf gewesen sei, und erfüllt von der ersten Gier nach Frauen, habe er geloben müssen, an keine von ihnen je Hand zu legen. »Von uns Laien ist bekannt, dass wir uns nicht so strikt daran halten wie die Ordensbrüder. Aber dennoch – was geschieht wohl, wenn Gott uns zuschaut …«
»Glaubst du, Gott hat nichts Besseres zu tun, als bei dir ins Fenster zu glotzen?«, beruhigte ihn Magdalene. »Außerdem legst du ja gar nicht Hand an mich, sondern ich lege Hand an dich.«
Damit war Timothy zufrieden, und er bekam fortan von der verbotenen Liebe nicht genug. Magdalene war froh, zumindest einem von ihnen seine Güte vergelten zu können. Sie hätte alles für die kleine Gemeinschaft getan, die sie ihre Familie nannte. Einmal, als Matthew schlief, sagte sie es der Amsel. »Ich würde alles tun, um dich zu schützen – dich und uns alle hier und unser Haus.«
»Es ist nicht unser Haus. Es gehört dem Kloster.«
»Aber es ist dennoch deines, Amsel! Du machst, dass es schön hier ist, während ich gar nichts tue, doch du musst mir glauben: Für deinen Schutz würde ich alles geben, was in mir steckt.«
»Und was bringt dich auf die Idee, ich könnte Schutz brauchen?«
»Herr Matthew!«, erwiderte Magdalene, ohne zu zögern.
»Wie bitte?«
»Nun, es wollten Leute Herrn Matthew ans Leben, nicht wahr? Wer sagt, dass die nicht wiederkommen und es diesmal bei dir versuchen? Dann aber bekämen sie es mit mir zu tun.«
»In der Tat? Und was würdest du anfangen, um mich zu retten?«
Magdalene überlegte. Herrn Matthews Schwert hatten die Mordbuben gestohlen, außerdem war es für sie ohnehin zu schwer. Sein Rasiermesser würde gegen eine bewaffnete Horde nichts ausrichten. Zu guter Letzt fiel ihr das Richtige ein: »Ich würde den Namenlosen von der Leine lassen und ihn auf sie hetzen.«
Die Amsel schien ehrlich beeindruckt zu sein. »Das würdest du tun?«
»Ihr seid meine Familie«, erwiderte Magdalene schlicht. »Du und Herr Matthew und Hugh. Ich habe nie eine Familie gehabt, und wenn es um euer Leben geht, würde ich alles tun.«
Das Lachen der Amsel klang geradezu silbern. Zum Scherz schlug sie mit einem Leintuch nach ihr. »Jetzt kriech in dein Bett, du Heldin! Mit einer solchen Wächterin werden wir zweifellos süße Träume haben.«
Es freute Magdalene, dass die Amsel so liebevoll mit ihr umging, doch zugleich wurmte es sie, dass sie ihr nichts zutraute. In den Augen der anderen war sie offenbar ein Tollpatsch, den man füttern musste, obgleich er niemandem nützte.
Noch lag kein Schnee, und die Schweine wurden in den Wald getrieben, um sich an Eicheln und Bucheckern Speck anzufressen. Es war eine Arbeit, bei der Magdalene nichts falsch machen konnte, weshalb die Amsel sie oft damit betraute.
Magdalene genoss es, durch den lichteren Teil des Waldes zu streifen und den letzten schwarzen Holunder zu pflücken, aus dem die Amsel köstlichen Saft kochte. An diesem Abend aber entwischte ihr ein Schwein, als sie sich für den Heimweg rüstete. Ehe es ihr gelang, es einzufangen, war die Dämmerung hereingebrochen, und im Handumdrehen würde es stockfinster werden. In höchster Eile machte sie sich mit ihren Tieren auf den Weg.
Kaum trat sie hinter dem Waldsaum ins Freie, da entdeckte sie drei Reiter. In leichtem Trab kamen sie ihr entgegen, und sobald sie ihrer ansichtig wurden, zügelten sie ihre Pferde. Was wollten die Fremden hier? Die Bilder der schrecklichen Nacht, in der sie Herrn Matthew gefunden hatten, zogen vor Magdalene auf, doch sie zwang sich weiterzugehen. Eine Flucht wäre ohnehin missglückt, und die drei kamen ja vom Kloster, also waren sie wohl in friedlicher Absicht unterwegs.
»Gott zum Gruß«, rief der Vorderste freundlich und hob eine Hand vom Zügel. »Wohin so spät noch des Weges?« Er sprach mit
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