Kains Erben
Ritter, Matthew. Versuch dein Glück.«
»Was du zu mir gesagt hast, trifft zu. Aber so war es mit dir nicht.«
»Was habe ich denn zu dir gesagt?«
»Dass ich nicht besser bin als Bruder Timothy. Dass ein Mädchen Freiwild für mich ist, weil es unter mir steht, und dass mich nicht berührt, was es fühlt.« Er schloss die Augen und rang tief nach Atem.
Amicia küsste ihm die Lider. »Nein, mein Liebling. So war es mit mir nicht.« Seltsamerweise hegte sie daran nicht den geringsten Zweifel. Er mochte ein Fremder mit einem sinisteren Geheimnis sein, aber sie hatte sich in seinen Armen keinen Augenblick lang anders gefühlt als gewollt und geachtet. »Sorg dich nicht. So wie es war, war es gut.«
Er setzte sich auf und zog sie auf seine Knie. »Ich will, dass du noch etwas weißt: Wenn ich dich heiraten könnte, würde ich es tun. Aber ich kann niemanden heiraten. Es liegt an mir, nicht an dir.«
Amicia war zwölf Jahre alt gewesen – wenigstens hatte Randulph ihr gesagt, sie sei zwölf Jahre alt –, als er ihr erklärt hatte: »Du musst dich vor Männern mehr in Acht nehmen als jedes andere Mädchen – vor denen, die kommen, um Pferde zu kaufen, vor den Bettlern und selbst vor den Laien. Denn ein Gelübde ist keine Kette, sondern feines Garn. Ein Mann, der sich an dir verginge, könnte dich nicht in sein Haus nehmen, um es gutzumachen. Er wüsste nicht, wer du bist und wo du in der Ordnung stehst. Deshalb gibt es keinen Mann, der dich heiraten kann. Das verstehst du, nicht wahr?«
Was hätte sie tun sollen? Ihre Hand schloss sich um den Stein an ihrem Hals. Mit einem Mal kam sie sich vor wie die Spinne, die darin eingeschlossen war und nicht entrinnen konnte. »Du musst mir nichts beteuern«, sagte sie und kämpfte um einen verächtlichen Ton. »Dass keiner mich heiraten kann, weiß ich, solange ich denken kann. Ich mache mir gar nichts daraus, ich …«
Er zog sie an sich, verschloss ihr erst den Mund mit den Lippen und küsste dann die Nässe unter ihren Augen. »Du hast mir nicht zugehört«, sagte er ihr ins Ohr. »Wenn ich ein Mann wäre, der heiraten dürfte, dann nähme ich dich – einerlei, wer du bist, einerlei, was du weißt, solange du denken kannst, und einerlei, ob du mich wolltest.«
Amicia hatte nicht geweint, seit sie Quarr verlassen hatten, jetzt aber weinte sie, als hätte es den geringsten Sinn, es nachzuholen. Matthew wiegte sie, küsste sie, und ab und an, wenn sie zwischen ihren wilden Schluchzern überhaupt etwas hörte, war es ihr, als summe er an ihrem Ohr ein Lied, das vom Meer um die Insel handelte und von der Liebe. Sie wollte ihm unbedingt sagen, dass sie ihn wollte und dass auch ihr der Rest einerlei war, aber in der Tränenflut ertrank jeder klägliche Versuch. Als die Flut zu versiegen begann, mussten sie sich noch einmal lieben, und danach hing Amicia so erschöpft in seinen Armen, dass sie es auf später verschob.
»Schlaf jetzt, mein armes zauberhaftes Mädchen«, sagte er und küsste ihre Schläfe. »Morgen früh bringe ich dich hinüber ins Hospiz, und du vergisst nicht, was du mir versprochen hast: Du bleibst bei Magdalene und Timothy, bis ich mit Hugh zurück bin.«
»Matthew«, murmelte Amicia schon halb im Schlaf. »Wie machst du das – spüren, dass Hugh Zahnweh hat?«
»Wie soll ich das wohl machen? Wenn ein Mensch Gedanken lesen kann, dann gewiss nicht ich. Er sagt es mir.«
»Aber er kann doch nicht sprechen.«
»Nur nicht mit dem Mund, Zaubermädchen.«
Aus vor Müdigkeit blinzelnden Augen betrachtete sie das Stück zerknitterten Pergaments, das er ihr zeigte. In engen Buchstaben hatte jemand darauf eine Reihe von Botschaften geschrieben. »Zahnweh, schlimm«, lautete die letzte. Der versoffene, oft kaum bei Verstand erscheinende Hugh konnte schreiben. Amicia war zu müde, um sich darüber zu wundern.
»Zufrieden?«, fragte Matthew und gab ihr noch mehr Küsse. »Wirst du einen Tag lang nicht tollkühn sein, sondern wie ein züchtiges Mädchen bei Magdalene sitzen, die unsere Kleider flickt?«
Sie wollte ihn ebenfalls küssen, traf so benebelt, wie sie war, jedoch daneben. Eine Frage brannte noch in ihrem Hinterkopf, aber sie fand nicht alle Teile, die dazugehörten. Stattdessen fragte sie: »Warum hast du solche Angst um mich? Der Mann, der mir Böses wollte, ist doch tot.«
»Verdammt, ich habe es dir doch gesagt: Ich weiß nicht, ob er tot ist, und er war verdammt noch mal nicht allein!«
»Ach Matthew, wer hat dich nur erzogen?«,
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