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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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einem Kerl!«, hatte Clarice, das beliebteste Mädchen des Hauses, ausgerufen, und die übrigen stimmten ein: »Ein wahrer Ritter – den lass für mich, etwas so Herzwärmendes macht meine verkommene Seele heil.« Magdalene hatte durch einen Trick die anderen ausgebootet, weil sie ihn um jeden Preis in den Armen halten musste und weil sie wusste, dass sie für ihn die Beste war. Die anderen nämlich sahen prächtige Schultern und lange Beine, gemeißelte Züge und goldbraunes Haar. Magdalene hingegen sah mehr als das: Sie sah einen Mann, der sich fürchtete, der verstört und abgrundtief einsam war. Genau so stand er jetzt wieder vor ihr. Verlegen. Im Rücken die Hände ringend, als würde sie es dort nicht bemerken.
    »Etwas könntest du allerdings für mich tun, wenn du wolltest«, sagte er.
    »Alles, mein Herr Matthew.« Magdalene taten die armen Handgelenke leid, die er sich wieder einmal bis aufs Blut wundkratzen würde.
    »Dieses Mittel, das du Bruder Timothy gegeben hast, um seinen … seinen Tatzenwurm zu zähmen – du hast gesagt, bei anderen Männern hat es geholfen?«
    »Tatzelwurm«, verbesserte Mag wie von selbst. »Und ja, für gewöhnlich hilft es. Viele Mädchen schwören darauf.«
    »Was ist es?«, fragte er.
    »Ein Sud aus Koriander und Eisenkraut – leicht gemacht, wenn man die Zutaten bekommt.«
    Er schlug die Augen nieder. »Hast du noch davon?«
    »Aber ja!«, rief sie eifrig. »Wollt Ihr, dass ich es noch mal bei Bruder Timothy versuche?«
    »Du solltest ihn Timothy nennen«, sagte ihr Herr Matthew. »Dein Bruder ist er nicht, und ein Zisterzienser wird er nicht mehr lange bleiben. Nein, ich will nicht, dass du es noch einmal bei ihm versuchst. Diesem Wurm, der Glas macht, kommen wir anders bei.«
    »Was wollt Ihr dann?«, fragte sie.
    »Dass du es mir gibst«, sagte ihr Herr Matthew und bohrte den Blick in den Boden, als wolle er nie mehr aufsehen.

Dritter Teil
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ahres 1284
    »Omnes supervenientes hospites tamquam Christus suscipiantur, quia ipse dicturus est: Hospis fui et suscepistis me.«
    »Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus, denn er wird sagen: Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen.«
    Benediktsregel, Kapitel 53.1

18
    D
eborah hatte bei Josua, dem Seifensieder, Arbeit gefunden. Sie hätte es nicht nötig gehabt, denn was Vyves und Gideon einnahmen, reichte, um satt zu werden und um die Miete zu bezahlen. An mehr zu denken schien ohnehin vermessen. Aber Deborah hatte sich die Suche nach Arbeit nicht ausreden lassen. »Wenn du dich scheust, mich zu heiraten, weil du mir kein Haus bieten kannst, dann muss eben ich dabei helfen, dass wir dieses Haus bekommen werden«, hatte sie zu Vyves gesagt.
    Ihr Freimut und ihre Entschlossenheit beschämten ihn. Er wollte nicht, dass sie seinetwegen bei fremden Leuten wie eine Dienstmagd schuftete, Oved ben Rouvins vergötterte Tochter, seine Prinzessin, seine Rose von Sharon. »Selbst wenn wir Geld dafür hätten, dürften wir uns kein Haus kaufen«, hatte er versucht, sie umzustimmen. »Es ist Juden nicht länger erlaubt.«
    »Irgendwann wird es wieder erlaubt sein«, hatte sie gleichmütig erwidert, »wenn nicht hier, dann anderswo.« Seither ging sie ins Haus des Seifensieders, das abgelegen am äußersten Rand des Judenviertels stand. In seiner Umgebung wollte kein Mensch wohnen, weil beim Erhitzen von Schafstalg und Fischtran, die für die Seifenlauge nötig waren, ein Gestank aufstieg, der den stärksten Mann erschaudern ließ.
    »Wie hältst du das aus?«, hatte Gideon geschrien, als er seine Schwester zum ersten Mal dort abgeholt hatte. »Es stinkt schlimmer als im Schweinekoben, in den kein jüdisches Mädchen einen Fuß setzen würde, aber die Tochter meines Vaters geht dort ein und aus!« Er weigerte sich, noch einmal dorthin zu gehen. Es sei eine Schande, hatte er gesagt, und Deborah selbst stinke nach der erbärmlichen Arbeit, dass man in ihrer Nähe kein Essen mehr genießen könne.
    Er übertrieb. Ja, Deborah half Josua, die Lauge zu rühren und aufzukochen, und wenn sie sein Haus verließ, umgab sie eine Wolke beißenden Gestanks. Aber sie war ein reinliches Mädchen und blieb es. Wenn der fertigen Seife Rosenwasser und Majoran zugesetzt waren, wie Josua es für seine betuchten Kunden tat, war von dem Gestank nichts mehr wahrzunehmen, und Deborah benutzte täglich etwas von der Schmiere, die abfiel, wenn der Kalk eingeschüttet und die

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