Kains Erben
Seife in Formen gefüllt wurde. Nicht nur ihre Kleidung wusch sie damit, sondern auch Haut und Haar.
Vyves mühte sich, Verständnis für Gideon aufzubringen. Er war froh, dass der Freund nicht mehr davon sprach zu konvertieren, dass er sich beim Trinken mäßigte und liebevoll mit seiner kranken Frau umging, aber seine Art, Deborah herabzuwürdigen, brachte ihn auf. Es war nicht die Schuld der Frauen, dass die Männer ihnen kein behütetes Dasein mehr bieten konnten. Sie taten ihr Bestes und verdienten dafür Respekt.
Nach Gideons Weigerung, sich noch einmal in die Nähe von Josuas Haus zu begeben, beteuerte Deborah, sie könne allein gehen. Vyves aber bestand darauf, sie anstelle ihres Bruders zu begleiten und abends wieder abzuholen. Sie musste im Morgengrauen aufbrechen, wenn sich noch allerlei Gelichter der Nacht in den Gassen herumtrieb, und Vyves hätte sich geschämt, sie allein auf den Weg zu schicken. Dass er mit ihr ging und damit ihre Hoffnungen nährte, beschämte ihn allerdings kaum weniger.
Nach einigen Tagen, in denen das Wetter sich recht stabil gezeigt hatte, war dieser Morgen wieder so windig, grau und feucht, als sei Herbst, nicht bald Sommer. »Ist es nicht seltsam?«, fragte Deborah, als sie das Haus der Crespins verließen. »An einem solchen Tag hat man immer das Gefühl, es stünde einem Unheil bevor.« Sie nahm Vyves’ Arm und zog sich mit der freien Hand den Schal fester um Kopf und Schultern.
Vyves versuchte zu lachen, aber er hatte gerade dasselbe gedacht. Umso vehementer widersprach er: »Unheil steht uns gewiss nicht bevor, sondern eine Sabbatfeier mit süßem Wein, einer Challa mit Mohn und Sesam und gefülltem Fisch. Mir tut nur leid, dass du vorher diese Arbeit hinter dich bringen musst.«
Dankbar sandte sie ihm ein Lächeln. »Das ist nicht so arg. Wirklich nicht. Der alte Josua gibt mir stets die leichtesten Aufgaben. Rebecca und ich sitzen eigentlich nur zum Faulenzen in der Werkstatt.«
Vyves wusste, dass es so nicht war. Aber in der Tat war der Seifensieder kein Schinder, sondern ein fürsorglicher Mann, den es dauerte, dass er sowohl Deborah als auch seine fünf Enkelinnen zur Arbeit anhalten musste. Er war als Kerzenmacher ausgebildet und hatte einst herrliche Wachskerzen für die Tische der Reichen gezogen – rote und grüne, dick wie Arme, wie er nicht müde wurde, Deborah zu berichten. Sogar die Königin Eleanor, die provenzalische Gemahlin von Henry iii., habe – wenn auch insgeheim – den Duft und die Festigkeit seiner Kerzen geschätzt. Damals, so brüstete er sich, hatten er, seine Frau und das geliebte Töchterchen wie Fürsten gelebt, aber dann seien die bösen Zeiten gekommen und Adonai habe sich entschlossen, seinen Diener Josua wie einst Hiob zu prüfen.
Über Nacht waren die Kontrollen verschärft worden, und kein Christ hatte mehr seine Kerzen bei ihm gekauft. Stattdessen hatte er Drohungen der Gilde erhalten, und sein Wohlstand war wie Wachs dahingeschmolzen. Seine Frau war vor Kummer darüber gestorben, und keinen Monat später nahm ihm ein Fieber die geliebte Tochter und den Schwiegersohn. Fünf Enkelinnen blieben dem alten Josua – fünf hungrige Mäuler und eine leere Truhe für Heiratsgut. So gab er die hehre Kunst des Kerzenziehens auf und verlegte sich auf die Herstellung billiger Talglichter und später auf Seife. Gerber kauften Seife in großen Mengen, weil sie beim Entfetten von Häuten half, und es gab nicht genug christliche Sieder, um den Bedarf zu decken. Josua hatte sich damit aus dem Elend herausgearbeitet und kam zurecht, doch dass eines seiner Mädchen müßigging, konnte er sich nicht leisten. Nicht einmal Rebecca durfte er schonen, die Jüngste, die ihrer verlorenen Mutter glich und sein Augenstern war.
Regen trieb Deborah und Vyves in die Gesichter. Wenigstens war an solchen Tagen die Feuergefahr gering, die beim Kochen der Seifenlauge entstand. Kein Mensch war unterwegs. Wer immer konnte, blieb daheim am Feuer, bis die Sonne höher stand und ein wenig Wärme spendete.
»Worum machst du dir Sorgen?«, fragte Deborah.
»Um nichts!«, beeilte Vyves sich, Antwort zu geben.
»Glaubhaft klingt das nicht. Ich habe dich mit meinem düsteren Gerede angesteckt, nicht wahr?«
»Nein, gar nicht. Ich hätte es eben nur lieber, wenn du im Haus bleiben könntest wie meine Mutter und Esther.«
Sie schwieg, und Vyves wusste, was sie dachte: Wenn er sich entschloss, sie zu heiraten und sich mit dem Zimmer bei den Crespins zu begnügen,
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