Kairos (German Edition)
der Wettersatelliten, um der Shumgona-Präsenz auf Unionsgebiet ansichtig zu werden. Und noch etwas hoffte man zu finden. Der Bildausschnitt ruckte westwärts. Frankreich kam in Sicht. Lyon. Bals sah über dem Flughafen einen blauen Punkt – die
Gaia
.
Niemand wußte, ob sie gestartet waren oder nicht, ob das Sternenschiff mit der multinationalen Gesandtschaft um Doria Patrick, Alain de Saux, Eiko Sakaguchi, dem Indianer Enriqu und der Som´ai Galdea an Bord trotz des verfrühten Shumgona-Angriffs es geschafft hatte, mit Ziel Adler ins All zu stechen. Die Dreiaugen (wie Frontsoldaten die Invasoren auch nannten) hatten den Flughafen Lyon dem Erdboden gleichgemacht. Kaum einer zivilen oder militärischen Einrichtung war es schlechter ergangen. Galdea hatte das vorausgesagt.
Die Shumgona können die Präsenz der
Gaia
orten. Sie werden alles tun, um den Start zu verhindern. Die Vernichtung der
Gaia
ist ein Ziel.
Warum, hatte sie nicht gesagt.
Welche Rollte spielte das Sternenschiff? Hat Galdeas Plan funktioniert? Noch lagen keine Meldungen oder Bilder vor, die zeigten, was passiert war.
Bals fand zu seiner Umwelt zurück. Langsam, aber stetig. Wie auch immer die Flucht der
Gaia
ausgegangen sein mochte, er war froh darüber, zurückgeblieben zu sein. Vielleicht blühte den Erwählten die Freiheit, vermutlich eine aufregende Zukunft; sicher große Offenbarungen. Doch Bals hatte die Erde nicht verlassen können. Es wäre falsch gewesen. Auch wegen der toten Pris. Dessen war er sich so sicher, wie sonst nichts in seinem Leben.
Blaskowitz’ Stimme. Bals, sich weiter der Starre entziehend, begriff, daß er mit Julie Monterrey sprach. Bergs ehemalige Politmanagerin – seine Geliebte, wie er sich klarmachte – hatte den Adlerhorst kurz zuvor mit Angehörigen der Bunkersicherheit betreten. Sie stand vor Blaskowitz. Bals sah ihr an, wie elegisch sie war, wie niedergedrückt. Sie tarnte es mit Zorn.
Alle hatten Verluste zu beklagen. Geliebte Menschen, Heimat, Freiheit, den Frieden. Julie Monterrey all dies auf einmal. Sie hatte mitangesehen, wie ein Extremist ihren Liebsten auf bizarre Art getötet hatte.
Bals’ Mundwinkel zuckten. Die Erinnerung war furchtbar.
Der Schmerz half ihm, zu sich zurückzufinden. Gedanken zu formulieren, hatte ihm geholfen, sie zu sortieren. Er hörte Monterrey und Blaskowitz streiten. Ihre Stimmen, deren Wucht, irgend etwas, ließ ihn aufhorchen. Er fühlte seine Finger das Metallgeländer greifen. Seine Knöchel traten weiß hervor. Er sah seine Hände – Spuren eines arbeitsamen – seines – Lebens. Er hob den Blick, sah Blaskowitz mit rotem Kopf und auf Monterreys Gesicht Tränen glitzern. Hastig fuhr er sich über die Augen, fühlte Haut, Bartstoppeln. Wieder etwas spüren. Immer noch Resignation, Trauer, nah am Zerfall.
Aber ich spüre etwas.
Ein Anfang.
Erwachen, wie nach langem Schlaf. Sich Straffen. Bals’ Sinne regten sich; er bekam immer mehr mit, und wußte: es hatte eine Bewandtnis, daß er lebte, hier war, eingreifen konnte. Die Luft einsaugend, roch er einen bestimmten vertrauten Geruch: den der Angst, aus Poren strömend. Bals erfaßte den Boden, solid, gerade, nicht mehr wankend. Er sah sich um, ohne einem Blick zu begegnen.
„Ihre Multimilliarden teure Luftwaffe war bislang scheißineffektiv!“, schrie Monterrey.
Die meisten Augenpaare ruhten auf Blaskowitz. Bals begriff, daß er handeln mußte. Diese Darbietung unsinniger Spiegelfechterei mußte er schon aus disziplinarischen Gründen unterbinden. Er ging los, bis er Monterrey auf der anderen Seite des Horstes erreichte. Sie schien ihn gar nicht zu bemerken, schimpfte weiter auf Blaskowitz ein. Der stand auf dem Grund des Adlerhorstes. Die Arme hinterrücks verschränkt, sah er zu Monterrey auf. Sein Blick verhieß großen Verdruß. Auf Glas projizierte Gefechtstaktiken umgaben ihn.
„Das darf nicht wahr sein“, sagte Bals, und wußte, daß er es sagte, um die eigene Stimme zu hören. Er wollte wissen, wie sie klingt. Sie klang fremd, wie belegt. Er trat vor.
„Der Rest weitermachen“, befahl er den Anderen im Horst. Schon allein, daß er das sagen mußte, während die versammelte Generalität zugegen war, sagte aus, wie es um Moral und Struktur der Führungsriege bestellt war. Weitere destabilisierende Faktoren durfte es nicht geben. Er mußte Monterrey zur Räson bringen.
„Julie, was geht hier vor?“ Seine Stimme war ruhig, aber angespannt. Monterrey antwortete nicht. Blaskowitz sah zornig erst
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